«Nach innen beten, nach aussen strahlen»

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02.02.2022
Sie will Räume schaffen, die Menschen aus der Isolation herausheben, und helfen, die vielen zukunftsweisenden Projekte in den Mitgliedkirchen und deren Kirchgemeinden sichtbar zu machen: Rita Famos ist auch nach einem Jahr im Amt als «höchste Reformierte» der Schweiz voller Tatendrang. Im Interview sagt sie, was sie als Teamplayerin bewegen will.

Frau Famos, nun sind Sie ein gutes Jahr im Amt: Konnten Sie einen famosen Start als Ratspräsidentin hinlegen?
Mein Start war in dem Sinn «famos», als ich glaube, dass ich im ersten Jahr meine «Handschrift» hinterlassen konnte: Ich habe viele tragende Beziehungen aufgebaut und klar kommuniziert, dass ich zusammen mit anderen die EKS weiterbringen will: Im Rat, in der Konferenz der Kirchenpräsidien, im Synodebüro. Wir haben die Ratsarbeit neu organisiert, die Zusammenarbeit mit der Geschäftsstelle und dem Synodebüro geklärt. Andererseits habe ich gegen aussen viele Kontakte aufgebaut und Gesicht gezeigt – etwa zu Medienschaffenden oder in der Ökumene. Ich bin in der zweiten Jahreshälfte viel gereist und habe im Kontakt mit der kirchlichen Basis versucht zu zeigen: EKS, das sind wir alle. All das trägt meine «famose» Handschrift. Ob es «famos» im Sinn von «exzellent» war, mögen andere beurteilen.

In einem Satz: Was ist die wichtigste Botschaft der Evangelischen?
Gott schaut jede und jeden von uns liebevoll an, in seinem Blick sind wir verbunden und können die Welt gemeinsam in seiner Liebe verändern.

Ebenfalls in einem Satz: Was ist Ihr persönlicher wichtigster Fokus, wenn es um Religion, Kirche und Glaube geht?
Nach innen beten und nach aussen strahlen.

«Gemeinsam Kirche gestalten» lautete Ihr Motto im Vorfeld der Wahl – wie gestalten Sie dies ganz praktisch?
Das gestalte nicht ich alleine! Aber es ist spürbar, wie Menschen in unseren Kantonalkirchen und in den Kirchengemeinden Kirche bewegen, aufbrechen, Neues ausprobieren. Unsere Aufgabe besteht darin, dies sichtbar zu machen und diese vielen Bewegungen politisch und gesellschaftlich zu vertreten.

Werden Sie bitte noch etwas konkreter.
Das 500-Jahre-Reformationsjubiläum war ein gutes Beispiel: Das gemeinsame «R» als Erkennungssymbol mit individuellen Variationen in den Mitgliedkirchen zeigte, dass man gemeinsam Aktionen entwickeln und bis auf die Gemeinden runterbrechen kann. Oder die Solidaritätsaktion «Licht schenken» angesichts der Coronakrise zwischen Ostern und Pfingsten letztes Jahr. Wir müssen noch mehr nach gemeinsamen Projekten suchen, die uns als Kirche sichtbar machen. Davon sollen Kirchgemeinden profitieren und etwas einfach umsetzen können.

Sie wurden in einer bewegten Zeit EKS-Präsidentin: Wie gehen Sie ganz persönlich mit der riesigen Breite an Themen um?
Ach, jede Zeit ist in ihrer Selbstwahrnehmung bewegt. Ich habe ein tolles Team, das ganz verschiedene Bereiche abdeckt und mit Leidenschaft voranbringt. Dank seiner Unterstützung kann ich mich auf viele Themen einlassen. Für mich selbst ist die Themenfülle und das Spektrum an Aufgaben lehrreich und interessant. Mit den Handlungsfeldern haben wir zusammen mit der Synode versucht, Schneisen und Wege in dieses Dickicht zu schlagen. Die Legislaturziele werden ebenfalls die nötigen Schwerpunkte setzen.

Was bewegt die Menschen zutiefst?
Ich glaube, dass in und ausserhalb der Kirche die Menschen der Umgang mit unauflösbaren Widersprüchen bewegt: Klimaschutz und individuelle Freiheit, der Wunsch nach Verbundenheit und das Streben nach Unabhängigkeit, die Sorge um eine abgesicherte Zukunft und die Lust an den vielen Optionen, die das Jetzt bietet, Solidarität und die Sorge um sich selbst. Und viele Menschen verspüren eine grosse Sehnsucht nach spiritueller und geistlicher Verankerung.

Was kann die EKS unternehmen, um die Menschen in Leben und Glauben glaubwürdig zu begleiten?
Wir können auf gute Beispiele in unseren Kirchen hinweisen – auf Orte, wo Menschen gemeinsam beten und feiern können oder wo sie gemeinsam Positionen diskutieren können. Damit tragen wir dazu bei, Menschen aus der Isolation herauszuheben. Dies alles soll Sinn stiften jenseits eines nur materialistischen Zwecks. Diese Orte der Gemeinschaft lassen das Reich Gottes erahnen und nehmen unsere Sehnsucht danach ernst.

Wie nehmen Sie kontroverse Diskussionen wahr, und wie gehen Sie mit theologischen Strömungen um, die nicht Ihrer eigenen Überzeugung entsprechen?
Diskussionen, die nicht kontrovers sind, sind keine Diskussionen, sondern eher Selbstvergewisserungsversuche. Theologische Strömungen machen unsere Vielfalt aus, wir brauchen sie. Diese Vielfalt bewahrt uns vor Engführung und Betriebsblindheit. Aber nicht alles, was anders ist, bereichert uns auch. Wo Menschen diskriminiert und ausgegrenzt, wo alte Fehler und krankmachende Machtstrukturen spirituell geheiligt und fortgeführt werden, da wird die Theologie, da werden Gott und unsere Institution missbraucht. Das muss man auch benennen.

Die Grenzen der reformierten Einheit werden deutlich. Droht nach dem Ja zur «Ehe für alle» die Kirchenspaltung? Die Methodisten, selber Mitglied der EKS, werden ja in diesem Jahr darüber entscheiden.
Nein, das glaube ich nicht. Im Gegenteil: Es hat sich gezeigt, dass wir eine gute Debattenkultur haben, in der alle angehört werden. Die Mitgliedkirchen sind nun daran, die Umsetzung des Volksentscheids zur Ehe für alle umzusetzen. Wie ich höre, sind sie im Sinn der Empfehlung der Sommersynode 2019 auf gutem Weg. Die Methodisten, die nicht nur national, sondern eben auch international organisiert sind, sind ebenfalls in intensiven Diskussionen. Sie werden in der Schweiz – so wie es zurzeit aussieht – einen Weg ohne Spaltung finden können.

Was können Sie, was können die Kirchenmitglieder dagegen tun?
Kirche lebt davon, dass wir immer wieder versuchen, die Anliegen derer zu verstehen, die eine andere Sicht auf die Dinge haben als wir selbst. Das wird bereits in den paulinischen Briefen und in der Apostelgeschichte sichtbar. Kirche lebt auch von der Bereitschaft, Spannungen auszuhalten, demütig zu bleiben und nicht rechthaberisch zu werden und noch im Meinungsstreit die Liebe füreinander hochzuhalten.

Die Kantonalkirchen und Kirchgemeinden haben zum Teil sehr unterschiedliche Profile.
Die gesamtgesellschaftlichen Trends treffen alle Mitgliedkirchen und Kirchgemeinden. Viele Mitglieder sind Senioren und Seniorinnen. Diesen gerecht zu werden und gleichzeitig neue Formen auszuprobieren, ist eine Herausforderung. Es ist eine Falle, diese beiden Aufgabenfelder durch eine künstliche Trennlinie «Fromme» und «Liberale» gegeneinander auszuspielen. Ich glaube, dass wir da auf einem guten Weg sind.

Wie gehen Sie mit eher wertoffenen und wertkonservativen Meinungen um? Gibt es zwei Lager?
Nein, zwei Lager würde ich nicht sagen. Es gibt aber Menschen, die auf den Bedeutungsverlust von Kirche eher bewahrend reagieren und andere, die eher vorpreschen und Neues ausprobieren wollen. Wir brauchen beide! Man muss ja alles prüfen – ganz im Sinne der Erneuerer – und das Gute behalten – so wie die Bewahrer das möchten.

Und was heisst das konkret?
Es geht darum, von anderen zu lernen, die inhaltlich oder methodisch innovativ sind – unabhängig des theologischen oder spirituellen Hintergrunds. Es gibt viel Potenzial, wo Sachen ausprobiert werden. Wir müssen deshalb fehlertoleranter werden. Die Coronazeit hat bewiesen, dass unterschiedlichste Kirchgemeinden kreative Ideen entwickelten. Das «RefLab» im Kanton Zürich zeigt, wie man als Online-Gemeinde gerade mit verschiedenen theologischen Hintergründen Kreise ziehen kann. Im Kanton Genf überzeugt mich ein neues katechetisches Modell, das auf Familien abzielt, in denen Eltern selber nicht mehr viel über den christlichen Glauben wissen. Aktionen gegen Essensverschwendung sind ebenso vielversprechend und zukunftweisend.

Schweizweit äusserten sich einige Pfarrpersonen gegen die Ehe für alle. Wenn man Sie beim Wort nimmt, wären diese Amtspersonen innerhalb der EKS sozusagen nicht mehr tragbar. Täuscht dieser Eindruck?
Ja, der täuscht, das habe ich so nicht gesagt! Die EKS hat keine Glaubenskongregation, die entscheidet, was richtig oder falsch ist. Aber wer nicht bereit ist, die Dienste in der Art und Weise anzubieten, wie die eigene Kirche das, auf einen synodalen Prozess gestützt, möchte, muss sich fragen, ob sein Wirkungsort der Richtige ist. Das ist einerseits eine persönliche Entscheidung, die alle Pfarrpersonen mit ihrer Berufung und dem Ordinationsgelübde vereinbaren müssen. Andererseits muss das jede Mitgliedkirche mit ihrer Pfarrschaft aushandeln. Bei der Frage der Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren hat die Synode jedoch im Diskurs mit den kritischen Pfarrkolleginnen und -kollegen mit der Möglichkeit zum Dispens eine praktikable Regelung empfohlen.

Wo ist es sinnvoll, dass die EKS stellvertretend für Kantonalkirchen und Kirchgemeinden tätig wird und in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird?
Das kann man nicht pauschal beantworten. Dafür sind wir mit den Mitgliedkirchen in einem ständigen Austausch. Grundsätzlich braucht es die EKS immer da, wo ein Thema von überregionalem, nationalem Interesse ist. Im Handlungsfeld Kommunikation, das die Synode im Sommer beschlossen hat, geht es im Übrigen auch um die Klärung dieser Frage.

Interview: Roman Salzmann, kirchenbote-online.ch

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