«Ökumene auf Hosenlänge»

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29.09.2020
Das Kloster Engelberg feiert sein 900-jähriges Bestehen. Abt Christian Meyer erzählt, wie die Äbte früher versuchten, die Einsiedler vom Trinken abzuhalten, wie seine Beziehung zu den Reformierten ist und was ihn dort besonders anspricht.

Sie sind bereits seit Anfang des Jahres am Feiern. Wie geht es Ihnen?
Aufgrund von Corona mussten wir einen grossen Teil der Feierlichkeiten, Konzerte, Ausstellungen und Gottesdienste auf nächstes Jahr verschieben.

Corona hat Ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht?
Das wäre zu extrem ausgedrückt. Corona hat uns herausgefordert anders zu gestalten als geplant.

Wie kamen Sie dazu, auch ökumenische Feierlichkeiten einzuplanen?
Wir hatten ursprünglich die Idee, mit dem Bus durch die Schweiz zu touren und den Menschen aufzuzeigen, was Klosterleben ist, wie ein Mönch lebt und arbeitet. Aus dieser Idee wurde der Ansatz geboren, zehn Orte, die aus der Geschichte heraus zu Engelberg gehörten, anzufragen, ob sie nicht mitmachen wollten. Dann fiel uns auf, dass die meisten Orte heute protestantisch sind. Wir waren uns deshalb nicht sicher, wie sie reagieren würden. Wir waren überrascht, denn die Reaktionen der politischen Gemeinden auf unsere Anfrage waren grossartig. Alle zehn Orte wollten sofort mitmachen, drei Gemeinden schrieben uns sogar von sich aus. Da sind viele neue Beziehungen, auch zu Reformierten Würdenträgern, entstanden.

Ihre Lieblingsanekdote aus der Ordens-Geschichte?
1712 wollten die Berner das Kloster überfallen und brandschatzen. Das blieb allerdings nicht geheim. Der Abt rief die Generalmobilmachung aus. Auf einmal standen dreissig junge Frauen an der Klosterpforte und läuteten. Sie waren gekommen, um zu helfen das Tal zu verteidigen. Da der Abt nicht wusste, was er mit Frauen im Krieg anstellen sollte, schickte er sie zum Grosskellner (Ökonom), der für die Kleidungs- und Waffenausstattung zuständig war. Er rüstete die Frauen aus und liess sie an einen Ort positionieren, an dem sie nicht ins Kampfgeschehen kommen würden. Als die Berner dann nach Engelberg kamen, erblickten sie eine sehr grosse Militärpräsenz im Tal. Nach einem kleinen Scharmützel zogen sie unverrichteter Dinge wieder ab.

Schön ist auch die Anekdote mit der Sparkasse …
In Hochtal Engelberg hatten die Männer immer wieder ein Alkoholproblem. Denn im Tal war die Armut gross. Das Kloster hatte deshalb ein eigenes Armenwesen aufgebaut. Abt Anselm Villiger überlegte, wie er Gegensteuer geben konnte, damit die Männer nicht ihren gesamten Lohn vertrinken würden. Deshalb gründete er zusammen mit P. Carl Anderhalden ein Geldinstitut, die Engelberger Sparkasse, in der Hoffnung, dass die Männer einen grösseren Teil ihres Lohnes auf die Bank bringen würden, da es dafür Zins gab.

Mit welchem Erfolg?
Der Alkoholkonsum ging zurück. Aber die Aktion war nicht von durchschlagendem Erfolg gekrönt.

Man sagt, die Ökumene in Engelberg sei vorbildhaft. Wie kam es dazu?
Während der letzten 120 Jahre gab es in Engelberg keine Glaubenskriege. Das ist ein schönes Zeichen, finde ich. Anfang 1900 wurde eine anglikanische Kirche gebaut, da es hier viele englische Touristen gab. Zur damaligen Zeit war das einmalig. Heute unterhalten wir mit der reformierten Kirche vor Ort sehr gute Beziehungen. Wir haben einen ökumenischen Konfirmationsunterricht ins Leben gerufen. Oder als Engelberg vor 15 Jahren überschwemmt wurde, haben wir eine gemeinsame ökumenische Vesper ausgerufen, um Danke zu sagen, dass es keine Todesfälle gab. Da der reformierte Pfarrer keine Hose dabei hatte, lieh ich ihm eine von mir, die ihm wie angegossen passte. Seitdem sprechen wir nicht mehr von Ökumene auf Augenhöhe, sondern von Ökumene auf Hosenlänge.

Gibt es etwas, das Sie bei der reformierten Kirche anspricht?
Die Klarheit der Liturgie. Vielleicht ist diese ab und zu etwas zu klar. Doch die Versuche, sich auf die Bibel zu stützen und nicht auf irgendwelche Erscheinungen oder alte Traditionen, da können wir Katholiken von den Reformierten noch etwas lernen.

Was gefällt Ihnen an der katholische Kirche im Besonderen?
Die Figuren, die Bilderwelt, die Riten und die Formen, die etwas erzählen, sind in der katholischen Kirche viel präsenter als bei den Reformierten. Diese Mittel helfen bei der Übersetzung vom Geheimnis Gottes ins alltägliche Leben.

Was würden Sie bei der katholischen Kirche gerne ändern?
Ich würde mir mehr lebendige Diskussionen in der katholischen Kirche wünschen und Entscheidungsstrukturen, wie es sie in unserem Orden gibt. Ein offenes Auseinandersetzen, ohne dass man sich gegenseitig kaputt macht. Mir fehlt eine demokratische Struktur in der Kirche. Im Benediktinerorden leben wir diese vor.

Wie demokratisch geht es bei Ihnen zu?
In unserem Orden hat der Abt eine hohe Stellung. Trotzdem müssen alle grossen Geschäfte wie etwa ein Landkauf, Maschinenkäufe, Neustrukturierung des Alltags oder ob jemand neu aufgenommen wird, der Gemeinschaft vorgelegt werden. Die Mehrheit entscheidet dann darüber. Der Abt muss diesem Beschluss folgen. Die Gemeinschaft ist somit in den gesamten Verantwortungsprozess eingebunden.

Nehmen Sie Gott in Ihrem Alltag wahr?
Ich nehme Gott sehr wohl im Alltag wahr. Plötzlich bin ich im Dialog mit ihm, auch wenn ich keine Eins-zu-Eins-Antwort erhalte. Manchmal spreche ich mit ihm, wenn mich etwas geärgert hat, dann schimpfe ich auch manchmal mit dem Herrgott. Gewisse Dinge müssen raus. Wenn ich sie mir von der Seele geredet habe und er sie gehört hat, gibt mir das eine innere Befriedigung. Diese Lebendigkeit mit Gott trägt mich. Und dann gibt es noch eine weitere Art der Kommunikation mit ihm.

Die wäre?
Es gibt Erlebnisse, die einen sprachlos machen und man findet keine Antwort darauf. Manchmal erkennt man Jahre später einen Sinn darin. Ich hatte als Jugendlicher lange an einem Thema herumgenagt. Als ich in Rom im Studium war, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen, dass es noch einen anderen Grund dafür geben könnte als Erklärung. Das Thema war auf einmal nicht mehr dunkel und düster. Das gab mir Kraft.

Interview: Carmen Schirm-Gasser, kirchenbote-online

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