Onlinegottesdienste haben noch Luft nach oben

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12.05.2020
Seit dem Versammlungsverbot aufgrund des Lockdowns übertragen viele Kirchen ihre Gottesdienste online. Ein erstes Fazit zeigt: Viele konnten wertvolle Erfahrungen sammeln, doch es gibt noch Verbesserungspotenzial.

Kaum war der Lockdown am 16. März durch den Bundesrat verkündet, startete in der Schweizer Kirchenlandschaft eine nie gesehene Onlineoffensive. Alleine im Verzeichnis der Reformierten Medien sind in den vergangenen Wochen Hunderte Onlineangebote reformierter Kirchen eingetragen worden. Die Auswahl reicht von «CoronaStream» über «Quarantäne-Chörli» bis zu klassischen Onlinegottesdiensten am Sonntagmorgen.

So vielfältig das Angebot ist, so unterschiedlich ist die Art der Umsetzung. Während manche Kirchgemeinden lediglich ein Smartphone einsetzen, engagieren andere professionelle Produktionsteams. Manche setzen auf eine Liveübertragung, andere zeichnen den Gottesdienst fürs spätere Sehen auf.

Nach dem Schock kam die Lust
Mit welchem Elan die Kirchgemeinden dabei vorgehen, findet Thomas Schaufelberger, Leiter Abteilung Kirchenentwicklung der reformierten Kirche des Kantons Zürichs, bemerkenswert. «Nach einem ersten Schock haben viele Pfarrerinnen und Pfarrer Lust bekommen, sich online kreativ auszuleben und Experimente zu wagen», sagt er. «Das hat wohl auch damit zu tun, dass sie merkten, welche Reichweite sie mit Onlinegottesdiensten erreichen können. Weit über ihre Kirchgemeinde hinaus.»

So sei ein bunter Strauss an Onlineangeboten entstanden. Weil ausserdem frei entschieden werden könne, welchen Gottesdienst man schaue, habe sich eine Art Konkurrenzsituation unter den Kirchgemeinden entwickelt. «Interessant wird sein, ob auch nach der Corona-Krise die Angebote bestehen bleiben und ob manche weiterhin lieber den Gottesdienst einer anderen Gemeinde online schauen», sagt Schaufelberger.

Die Zürcher Landeskirche habe mittlerweile einen kleinen Forschungsauftrag gestartet, um die Angebote zu monitoren, auszuwerten und in die Kirchenentwicklung einfliessen zu lassen. Eine erste Beurteilung habe ergeben, dass die Anpassung der Gottesdienste an das Onlineformat vielerorts noch Entwicklungspotenzial habe. Digital müsse der Gottesdienst kürzer sein, auch interaktiver, indem man die Menschen miteinbeziehe.

Gottesdienst: Kein Auslaufmodell
Auch in Bern gibt es mittlerweile eine grosse Vielfalt an Onlineangeboten der Kirchgemeinden. «Am Anfang kamen sie manchmal etwas hilflos daher, aber man hat eine enorme Entwicklung beobachten können», stellt Matthias Zeindler, Leiter Bereich Theologie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, fest.

Spannend sei, dass der Gottesdienst, den manche gerne als Auslaufmodell neben der viel wichtigeren Diakonie und Seelsorge sehen würden, in der Öffentlichkeit plötzlich wieder als Kernaufgabe der Kirchen wahrgenommen werde. Besonders gut gefällt Zeindler, wenn Onlinepräsenz mit physischen Offline-Elementen kombiniert wird. «Indem zum Beispiel die Glocken am Sonntagmorgen läuten oder die Predigt zum Abholen bereitliegt.»

Auch Zeindler glaubt nicht, dass die Onlinegottesdienste nach der Aufhebung des Lockdowns einfach wieder verschwinden werden. «Es hat sich gezeigt, dass damit deutlich mehr Menschen erreicht werden als über den physischen Gottesdienst.» Gerade für distanzierte Mitglieder sei das Onlineformat eine gute Gelegenheit, einem Gottesdienst beizuwohnen, ohne sich zu sehr exponieren zu müssen.

Das Abendmahl vor dem Computer
Wie eine kreative und interaktive Umsetzung eines Onlinegottesdienstes aussehen kann, hat Simon Gebs, reformierter Pfarrer der Kirchgemeinde Zollikon im Kanton Zürich, am Karfreitag gezeigt. Auf sozialen Medien wie Facebook schlug er vor, dass jeder bei sich zu Hause Brot und Wein parat legt, um dann gemeinsam das Abendmahl zu feiern.

Während Gebs online zum Abendmahl rief, wurden daheim in der Stube oder in der Küche das Brot und der Wein zu Gemüte geführt. Gebs bat auch, ihm Bilder der bereitgelegten Abendmahle zu senden. Von der Rückmeldung sei er überwältigt gewesen. «Ich bekam dutzende Fotos und gut hundert schriftliche Zusendungen.» Einige Menschen hätten ihm geschildert, wie berührt sie von dieser Art des gemeinschaftlichen Abendmahls gewesen seien und dass sie gar Tränen in den Augen gehabt hätten.

«Das Bedürfnis nach solchen Momenten ist in der Corona-Krise gross. Darum ist es wichtig, dass wir auch digital ein Gefühl der Gemeinschaft schaffen», sagt Gebs. Zentral sei dabei der Leitgedanke, dass er sich via ein Onlineformat quasi als Gast bei den Menschen zuhause am Tisch dazugeselle. Deshalb zeichne er seine Gottesdienste nicht im Kirchenraum auf, sondern von Stube zu Stube. «Ich will eine Atmosphäre der Nähe schaffen. Eine Eins-zu-Eins-Begegnung. Online funktioniert das meiner Meinung nach schlecht in einem Kirchenraum als Bühnenbild und mit leeren Bänken.»

Hilfestellung vom Profi
Dass es für Onlinegottesdienste neue Formate braucht, davon ist auch der reformierte Pfarrer und selbstständige Kommunikationsberater Martin Peier überzeugt. Peier berät Kirchgemeinden und Kirchenleitungen in der Umsetzung von Onlinekonzepten und hat eine Hilfestellung auf seiner Website publiziert.

Schaut Peier auf die vergangenen Wochen zurück, stellt er fest, dass viele nur schon optisch an der bisherigen Form des Gottesdienstes festhalten. «Pfarrerinnen oder Pfarrer stehen im liturgischen Gewand hinter dem Abendmahlstisch und führen einen Gottesdienst durch, als befänden sie sich vor versammelter Gemeinde», sagt Peier.

Aber eine Feier ohne Gemeinde so durchzuführen, ergäbe nur wenig Sinn. Deshalb gehe er an seinen Kursen der Frage nach, wie neue Formen gefunden werden können. «Es fängt schon damit an, wohin ich vor der Kamera schaue», sagt Peier. Wenn man mit den Menschen rede, schaue man ihnen am besten direkt in die Augen. Bete man hingegen zu Gott, sei das lieber zu lassen. «Sonst macht man den Zuschauer selbst zu Gott.» Es seien solche Nuancen, die über einen gelungenen oder weniger gelungenen Onlinegottesdienst entscheiden würden.

Versprecher sind erlaubt
Wer auf solche Kleinigkeiten achte, dem biete das Onlinemedium ein enormes Potenzial, sich kreativ auszuleben. «Allmählich begreifen das die Kirchgemeinden und es ist schön zu sehen, dass immer öfter experimentiert wird», sagt Peier. Man müsse sich aber auch bewusst sein, dass eine kreative Form nicht über einen schlechten Inhalt hinwegtäuschen könne. «Eine schwache Predigt wird online gar noch schlechter, eine gute möglicherweise besser.»

Auch Peier selbst nimmt zurzeit in der Kirchgemeinde Männedorf, wo er als Pfarrer tätig ist, Gottesdienste auf. Auf einen Livestream verzichtet er bewusst. «Das verbraucht zu viel Strom und ist deshalb aus Umweltschutzüberlegungen nicht sinnvoll.» In einem 30-minütigen Gottesdienst stecken etwa sechs Stunden Arbeit. Dazu gehört unter anderem das Filmen, das Schneiden und das Einspielen der Tonspur. Peier verzichtet darauf, mehrere Anläufe, so genannte Takes, zu drehen. Kleinere Versprecher würden dazugehören. «Wir sind ja nicht auf einem Filmset.»

Auch Peier hofft, dass die Onlinegottesdienste als Ergänzung nach dem Corona-Verbot bleiben werden. Sie hätten jedenfalls das Potenzial, ein Publikum anzusprechen, das am Sonntagmorgen zwar auf den Kirchgang verzichten möchte, nicht aber auf den Gottesdienst.

Andreas Bättig, ref.ch, 11. Mai 2020

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