Ösere Pfarrer

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17.06.2016
Erinnern Sie sich an die Gotthelfverfilmungen oder haben Sie die Bücher gelesen? Fast in jeder Geschichte kommt ein Dorfpfarrer vor. Würdevoll im schwarzen Talar, manchmal Trost spendend und gütig, oft aber auch von der Kanzel wetternd, urteilend und verurteilend als wäre er Richter über seine Gemeinde. Der Pfarrer war eine der wichtigsten Personen in einem Dorf, ob geliebt oder gefürchtet- geachtet auf jeden Fall. Und heute?

 

 

Judith Husistein - Es gibt sie noch, die Dorfpfarrer. Einer davon ist Claude-Alain Séchaud, der mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern vor bald 27 Jahren nach Stein kam. Dem Bild des Gotthelfpfarrers entspricht er kaum. Er trägt keinen Talar und auf der Kanzel steht er nur an Heiligabend. Kaum jemand spricht ihn heute noch mit „Herr Pfarrer“ an, er ist Herr Séchaud oder einfach Claude. Und doch ist Dorfpfarrer kein Beruf wie jeder andere, eher eine Institution, welche verschiedensten Ansprüchen gerecht werden und in diversen Sparten versiert sein muss. Anders als in grossen Gemeinden gibt es kein Sekretariat, keine Amtswochen, Besuchsdienste oder Arbeitsteilungen. Pfarrer Séchaud ist vieles in einer Person. Natürlich in erster Linie Pfarrer, der verschiedenste Gottesdienste gestaltet. Er führt zudem die Kirchenbücher, verwaltet die Mitgliederlisten, schreibt Zeitungseinträge, koordiniert und organisiert, macht Geburtstagsbesuche und ist wöchentlich an Spitalbetten anzutreffen. Zudem wirkt er in der Kinderkirche mit, erteilt ökumenischen Religionsunterricht, begleitet die Jugendlichen durch ihr Konfirmandenjahr, hilft beim Binden von Adventskränzen zu Gunsten der Konfirmandenkasse und vieles mehr.

Der Übergang vom Berufs- ins Privatleben eines Dorfpfarrers ist fliessend. Es wird von der Bevölkerung geschätzt, wenn der Pfarrer und seine Frau sich auch ausserhalb der Kirche engagieren oder bei Gemeindeanlässen dabei sind. Sei es als Gast bei Unterhaltungen, als Moderator bei Konzerten oder als Jurymitglied bei den Jungzüchtervorführungen. So ist eine Verbundenheit mit der Gemeinde gewachsen, die weit über das kirchliche Leben hinausgeht.

Durch Gottesdienste, Taufen, Hochzeiten und Todesfälle hat er im Lauf der Jahre mit den meisten der gut 700 Kirchenmitglieder persönliche Kontakte geknüpft. Er kennt generationenübergreifende Familiengeschichten, weiss die Zusammenhänge, lebt und fühlt mit seiner Gemeinde, ist sich aber auch bewusst, dass er nicht allen gerecht werden kann.

Immer wieder kommen ehemalige Konfirmandinnen oder Konfirmanden zu Pfarrer Séchaud, möchten von ihm getraut werden oder ihre Kinder von ihm taufen lassen. Gerade in emotional berührenden Situationen schätzen viele Menschen eine Pfarrperson, zu der sie eine persönliche Beziehung haben. Und stets spürt man, das ist „ösere Pfarrer“. Sein liebevoller Blick, wenn er ein Taufkind auf den Armen hält. Der Schalk in den Augen, wenn er mit überstelligen Konfirmanden zu tun hat. Die warme Anteilnahme, wenn er bei Trauerfeiern genau die richtigen Worte für die Verstorbenen und die Angehörigen findet. Und auch wenn an normalen Sonntagen wenige Menschen den Weg in die Kirche finden: An der Feier zu Pfarrer Séchauds 25-jährigem Arbeitsjubiläum in Stein waren alle da. Auch der letzte Platz auf der Treppe war besetzt, Dankbarkeit und Freude waren  greifbar.

 „ Anfangs dachte ich nicht, dass ich so lange hier bleiben würde, doch Stein wurde zu meiner Gemeinde“, sagt Pfarrer Séchaud. Und er hofft, dass er seine Gemeinde bei der Pensionierung nächstes Jahr in gute Hände weitergeben kann

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