Pfarrerin macht aus der Kanzel Kleinholz

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14.01.2022
Die Ostschweizer Pfarrerin Kathrin Bolt hat eine alte Kanzel zersägt, um daraus zusammen mit Jugendlichen einen Tisch zu bauen. Damit soll der Monolog abgeschafft und der Dialog gefördert werden.

 Vor wenigen Wochen hat die Pfarrerin Kathrin Bolt ihren Talar gegen schwere Schnitt-Schutz-Kleidung getauscht. Kurze Zeit später liess sie im Gemeindehaus der Kirchgemeinde Straubenzell in St. Gallen eine Motorsäge aufheulen. Das Schwert der Säge liess sie auf eine alte mobile Kanzel herunter, die sie mit gezielten Schnitten auseinandersägte. «Es tat schon ein wenig weh», sagt Bolt auf Anfrage, «aber es hatte auch etwas Befreiendes, so eine Kanzel, sozusagen eine alte Tradition, zersägen zu können.» Man müsse auch einmal loslassen können, nur so komme es zu Veränderungen. 

Neues entstehen lassen
Die alte Kanzel soll übrigens nicht zu Brennholz werden, sondern einen ganz besonderen, neuen Zweck erfüllen: das Pfarrteam wird zusammen mit Jugendlichen sowie dem Messmer, von Beruf Tischler, aus der Kanzel in den nächsten Wochen einen Tisch bauen.

An diesem werden die Gemeindemitglieder im Februar an vier Sonntagen zusammenkommen, um gemeinsam zu diskutieren und Abendmahl zu halten. Hintergrund ist das Projekt «predigtfreie Gottesdienste», das bereits zum zweiten Mal durchgeführt wird. Dabei verzichten die Pfarrerinnen und Pfarrer (neben Kathrin Bolt auch Regula Hermann, Carl Boetschi und Uwe Habenicht) darauf, eine Predigt zu halten. 

«Wir wollen weg vom Monolog, hin zur Tischgemeinschaft», sagt Pfarrer Uwe Habenicht. Denn im Pfarrkollegium sei man sich einig, dass überraschendere und vielfältigere religiöse Kommunikationsformen entwickelt werden müssten. «Die Predigt ist für Viele nicht mehr zeitgemäss», sagt Habenicht. Sie wirke «von oben herab», selbst wenn der Pfarrer oder die Pfarrerin nicht mehr auf der Kanzel stehe. Die Straubenzeller hingegen wollten ihren Kirchenmitgliedern auf Augenhöhe begegnen.

Aufruf in sozialen Netzwerken
Im Übrigen ist es kein Zufall, dass Kathrin Bolt für das Projekt «predigtfreie Gottesdienste» ausgerechnet zur Motorsäge griff. Die Pfarrerin wurde auf Facebook nämlich für die so genannte «Motorsägen-Challenge» nominiert, welche die Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin lancierten. Die Aufgabe war, mit einer Motorsäge ein Stück Realität herauszuschneiden und in einem neuen Kontext zusammenzusetzen. «Dafür eignete sich die Kanzel perfekt», sagt Bolt. 

Dass die Aktion mit der Motorsäge nicht bei allen gut ankommt, ist ihrem Pfarrkollegen Uwe Habenicht klar. Aber in der heutigen Zeit dürfe, ja müsse die Kirche irritieren. «Wenn wir das nicht tun, dann werden wir nur noch musealer», sagt er.

Kathrin Bolt ist davon überzeugt, dass viele es auch schön fänden, dass die Kanzel zum Tisch wird. «Ein Tisch steht für so Vieles. An ihm wird gegessen, gelebt, gerungen. Es wird gelacht und geweint. Man sitzt alleine an ihm, mit der Familie, mit Freunden.» 

Sind die Arbeiten beendet, wird der Tisch (und damit die umgebaute Kanzel) einen Platz im Pfarrhausgarten finden. Dort sollen die Wettereinflüsse an ihm nagen, bis nichts mehr von ihm übrig ist oder wieder etwas anderes aus ihm werden kann.

Andreas Bättig, ref.ch

 

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