Religiöse Minderheiten gehören zu den ersten Opfern im Konflikt

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23.03.2016
Der französische Syrien-Experte Fabrice Balanche sprach in Zürich über die Zukunft des Nahen Ostens: In weiten Teilen Syriens gebe es keine schiitischen Muslime, Christen, Alawiten und Drusen mehr. Ein Ende dieser Entwicklung sei nicht in Sicht.

«Ich bin sehr pessimistisch, was den religiösen Pluralismus im Nahen Osten betrifft», sagte Fabrice Balanche an einem Anlass von Christian Solidarity International CSI in Zürich. Balanche ist Professor an der Université Lumière Lyon 2 und Gastwissenschaftler am Washington Institute for Near East Policy. Der religiöse Pluralismus im Nahen Osten werde von dschihadistischen Gruppen bedroht, so der Forschungsleiter.

Weite Gebiete Syriens religiös gesäubert
Religiöse Minderheiten sind nach Balanche «die ersten Opfer» im Konflikt. «In den Gebieten, die vom Islamischen Staat oder Jabhat al-Nusra kontrolliert werden, leben keine Christen und Schiiten mehr», berichtete Balanche. Es gebe noch eine kleine drusische Minderheit, die aber zum sunnitischen Islam konvertieren musste. Bereits hätten 40 Prozent der syrischen Christen das Land verlassen, während sich Alawiten und Drusen in jene Gebiete zurückzögen, in denen sie die Mehrheit stellten – die Alawiten im Westen, die Drusen im Süden Syriens.

«Religiöse Minderheiten sind nun in Regierungsgebieten konzentriert, wo auch viele sunnitische Flüchtlinge Zuflucht gefunden haben», sagte Balanche. Was die Zukunft des religiösen Pluralismus im Nahen Osten betreffe, sei er sehr pessimistisch. «Der religiöse Pluralismus wurde in autoritären Staaten aufrechterhalten, die Minderheiten schützten» – Staaten, deren Führer selber religiösen Minderheiten angehörten. Balanche betonte, dass die religiösen Minderheiten aufgrund ähnlicher Beispiele in der Vergangenheit fürchteten, «ausgeschlossen oder vernichtet» zu werden, wenn ihr Schicksal in den Händen einer religiös polarisierten sunnitischen Mehrheit läge.

«Arabischer Frühling» gegen Minderheiten
Zwar hätten sozioökonomische Faktoren zum Gewaltausbruch in Syrien und im Irak beigetragen, doch spiele der Konfessionalismus eine weit wichtigere Rolle. Für die Führungselite der sunnitischen Dschihadisten und weiterer Rebellengruppen sei der Wunsch, die verlorene sunnitische Vorherrschaft wiederherzustellen, viel bedeutender als sozioökonomische Missstände, erklärte Balanche.

Bereits in der Anfangsphase des «Arabischen Frühlings» 2011 sei die konfessionelle Prägung des Konflikts deutlich sichtbar gewesen, so Augenzeuge Balanche. Anti-Assad-Demonstrationen fanden gemäss dem Professor vorwiegend in sunnitisch-muslimischen Gebieten statt. Die Parolen richteten sich gleichzeitig auch gegen die Minderheiten. Es sei deshalb nicht erstaunlich, dass die syrischen Alawiten, Christen und anderen religiösen Minderheiten sich eher auf die Seite von Präsident Assad und der syrischen Regierung stellten als auf jene der sunnitisch-islamistisch dominierten Rebellen.

Wegen sunnitisch-schiitischem Kampf von Friede weit entfernt
Laut Balanche ist eine Lösung des Kriegs in weite Ferne gerückt, da die konfessionellen Spaltungen «von regionalen Mächten befeuert wurden, die ihren Einfluss in der Region ausbauen wollen». Der Syrien-Experte beschrieb den Konflikt als Stellvertreterkrieg zwischen einer sunnitischen Achse – angeführt von der Türkei und Saudi-Arabien – und einer schiitischen «iranischen Achse» und verglich ihn mit dem Dreissigjährigen Krieg in Europa vor 400 Jahren.

Balanche ging im Weiteren auf die Rolle von Staaten ausserhalb des Nahen Ostens ein. Er kritisierte die amerikanische und französische «Besessenheit nach einem Regierungswechsel in Syrien» und ihre stillschweigende Bereitschaft, das Verschwinden der religiösen Minderheiten im Interesse ihrer politischen Ziele zu dulden.

Adrian Hartmann / 23. März 2016

Video der Rede von Fabrice Balanche: www.middle-east-minorities.com

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