«Sapperlot, scho wieder nüüt!»
Zahltag. Die Lohntüte ist voll, der Augenblick für einen Casinobesuch da. Gepflegte Er- scheinung ist gefragt. Auch zwei junge Frauen leisten der Hausordnung Folge. Sie kommen in rotem und schwarzem Kleid. Zwillingen gleich, treten sie sich auf ihren roten und schwarzen Plateauschuhen die Beine in den Bauch und warten geduldig in der Schlange vor dem Eingang. Kontrolle: Pass zeigen, Han- dynummer angeben. Gepflegt, so stellt sich spätestens bei der Wechselstube heraus, wo Bares in Jetons getauscht wird, ist ein dehnbarer Begriff. Schlabber-T-Shirt und lockere Hose mit dem Bund knapp über den Pobacken tun es auch. Die Spielmünzen lassen sich so besser verstauen. Schliesslich erhoffen sich alle den grossen Gewinn.
Die 500-Franken-Marke ist geknackt
Roulette oder Spielautomat? Letzterer ist nicht mehr das, was er einmal war, als beim einarmigen Banditen das Geld rausprasselte (welch lieb- licher Ton!), der grosse Becher hingehalten werden musste, um die Münzen auf- zufangen. Also, Maske montieren, auf zum Roulette!
2019 leisteten die Casinos 356 Millionen Franken an die AHV und die Kantone.
Am Tisch herrscht Gedränge. Eine Gruppe junger Männer schaukelt sich gegenseitig hoch, flucht, lacht. Eine Frau mit asiatischen Gesichtszügen hat den Stuhl herangerückt, klebt an der Spieltischkante. Die Kugel rattert und holpert über das Drehrad. Die rote 21 er- scheint auf der Leuchttafel. «Sapperlot, scho wieder nüüt!» Der Mittvierzigerin rinnen die Jetons durch die Hände, bis sie leer dasteht. Ob sie mit System spielt, wenn es denn ein solches gibt? Das ältere Ehepaar, das unterei- nander italienisch spricht, scheint eines zu haben. Er sackt fortlaufend grössere Jeton-Türme ein, die 500-Franken-Marke ist mehr als erreicht. Dann beenden die beiden abrupt ihr Spiel, gehen zur Wechselstube. Fort sind sie.
4,7 Millionen Eintritte jährlich
Die 21 Schweizer Casinos verzeichneten im vergangenen Jahr 4,7 Mio. Eintritte, erwirt- schafteten einen Bruttospielerertrag von 742 Mio. Franken, wovon knapp die Hälfte an die AHV und die Kantone ging. Die Casinos beschäftigen mehr als 2000 Angestellte. Einige davon müssen nun die Gäste immer wieder darauf aufmerksam machen, die Maske zu tragen, hinter welcher Regungen und Emotionen verborgen bleiben. Die Anspannung steigt, je höher sich die Jetons beim Einsatz auftürmen. Frust entlädt sich mit der niedersausenden Faust auf den Spieltischrand. Denn am Schluss kommt es, wie es kommen muss: Das Casino gewinnt, hundert Franken in Jetons sind weg.
"Mariellas" verführerische Kusshand
Immerhin bleibt noch eine Zehnernote für den Spielautomaten. Dort tummeln sich mehrheitlich Gäste, die anscheinend allein ins Casino gekommen sind. Etwa der Fünfzigjährige in Adidas-Turnschuhen, der stundenlang vor der Blinkkiste sitzt, alle paar Sekunden eine Taste drückt und halbstündlich den Automaten wechselt. Oder die Frau, die ihren Stuhl so positioniert, dass sie an zwei Geräten gleichzeitig spielen kann. Spielautomaten sind opti- sche Reizbomben: Sie blinken und leuchten von oben bis unten. Manche tragen Namen und erstrahlen in individuellem Design: Soll man an der «Sphinx» sein Glück versuchen, mit «Aladin» zocken oder sich auf die Meerjungfrau «Mariella» einlassen? «Mariellas» verführerische Kusshand gibt den Ausschlag: Die Meerjungfrau wird mit der Zehnernote ge- füttert, und los geht’s. Auf dem Bildschirm ra- sen endlose Reihen bunter Symbole: Bananen, Zitronen, Kirschen. Wie funktioniert das Spiel? Keine Ahnung! Also einfach wahllos Knöpfe drücken. Taktik und Geschick spielen nämlich keine Rolle – das Spiel an «Videowalzengeräten», wie die Automaten im Fachjargon genannt werden, ist reine Glückssache. Doch das Glück bleibt aus. Fünf Minuten dauert das Rendez-vous mit «Mariella», dann ist das Geld weg. Wie zuvor die Jetons auf dem Roulette- Tisch. Schnelles Geld? Ja, schnell fort, aber wenigstens auch zugunsten der AHV.
Text: Katharina Meier / Stefan Degen | Foto: Pixabay – Kirchenbote SG, November 2020
«Sapperlot, scho wieder nüüt!»