Schwitzen, bis die Schwarte kracht

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16.08.2019
Was für ein Raum, diese Fabrik des Schweisses. Aufgereiht wie die Schlagbäume einer Galeere stehen Ruderbänke, Tretmühlen und Gewichte hinter- und nebeneinander. Und jeder hier in dem Rheintaler Fitnesscenter arbeitet ganz fest daran.

Natürlich wäre es einfach, sich über Muckibuden lustig zu machen, aber billig. Denn es gibt Leute, die einfach nicht so darauf stehen, abends alleine mit dem Velo über den Rheindamm zu düsen. Und die sich trotzdem gerne bewegen und gesund halten wollen. Oder vielleicht doch mehr? «Jedes Gerät bringt eine eigene Muskelgruppe in Schwung», erklärt Bettina, die regelmässig hier ist. So könne sie gezielt und effektiv an ihrem Körperbild arbeiten, betont die 28-Jährige. 

Schenkeldrücker und Bizeps-Curl
Es geht nicht nur um Fitness des Körpers, um Ausdauer und Kraft, sondern auch um Optimierung, Gestaltung, gezielte Retuschen, wie ein «Photoshop» im echten Leben. Daher tragen die Übungen auch so lustige, aber logische Namen wie Ab-Crunch, Biceps-Curl oder Leg-Press. Sie nennen den zu trainierenden Muskel und dann die Übung, mit der es ihm an den Kragen geht, also Unterleibsknirscher, Oberarmkräusler oder Schenkeldrücker. 

Gegen die Gravitation kämpfen
Instruktor Marco ergänzt, dass Training nur die eine Seite der Medaille ist. «Ernährung gehört dazu.» Er hat Proteine, Kreatin und Fettverbrenner im Angebot. Es geht also ums Projekt, nicht nur ums Bewegen nach dem Lustprinzip. Andreas ist dahingehend schon recht gediehen. Das zeigt er jedem, der hinguckt. Auf seiner Hantel liegen 120 Kilogramm, «zum Aufwärmen». Und bald wuchtet er nochmal ein paar Zehner mehr der Erdanziehung entgegen. Respekt. Etwas eigentümlich wirken nur die Spiegel. Und die Bilder an der Wand mit derart perfekten Bodys, dass sich der Normalo vor Scham am liebsten verkriechen möchte. Mediziner beurteilen es grundsätzlich positiv, wenn Menschen trainieren, den Muskelaufbau um seiner selbst willen sehen sie aber kritisch. Dies auch, weil er sich bis ins Krankhafte steigern kann. 

«Ein hoher Grad an Perfektionismus, geringes Selbstwertgefühl und Unzufriedenheit mit dem Körper sind in beiden Fällen häufig.»

Roberto Olivardia, Psychologe der Harvard Medical School nennt das «Muskelsucht». Sie gelte als männliche Form der Magersucht. «Ein hoher Grad an Perfektionismus, geringes Selbstwertgefühl und Unzufriedenheit mit dem Körper sind in beiden Fällen häufig», sagt er. Zugrunde liege eine Körperbildstörung, oft verbunden mit Kontrollstörungen. «Die Betroffenen empfinden sich als zu schmächtig, obwohl sie muskulös sind, oder als zu dick, obwohl sie dünn sind.»  

«Erst Komplimente, dann Sucht»
Was könnte der Antreiber sein? Der Mediziner Jan Benson hat es untersucht und kommt in seiner Dissertation zum Schluss, dass übertrimmte Körper ein Männlichkeitsbild zeigen, das dem Wettbewerbsideal entspricht. Ist Fitness in der Freizeit also nur eine variierte Form des Erfolgsdrucks? Offenbar. «Der trainierte Körper dient als Vehikel der Konkurrenzfähigkeit – im erotischen Wettbewerb, in der Konkurrenz im Image, der sozialen und beruflichen Stellung und in der Ästhetik.»

Benson nennt es «Unterwerfung des Körpers unter marktwirtschaftliche Imperative und eine Zurichtung auf dessen Werte».

Männer scheinen also in Fitness Wettbewerbsvorteile zu sehen. «Eine starke Motivation, das Training zu intensivieren.» Benson nennt es «Unterwerfung des Körpers unter marktwirtschaftliche Imperative und eine Zurichtung auf dessen Werte». Dazu muss man nicht einmal Mann sein. Sonja schaut heute, ausserhalb des Studios, auf ihr jahrelanges Bodybuilding kritisch zurück. «Zuerst bekommst du Komplimente, dann wird es zur Sucht, am Schluss dreht sich dein Leben um nichts anderes und dann bricht dein Körper zusammen.» Das muss nicht jedem so gehen. Ein wenig selbstkritische Skepsis bei der Show des schönen Scheins schützt aber wahrscheinlich. 

 

Text | Foto: Reinhold Meier, Journalist und Pfarrer, Wangs  – Kirchenbote SG, September 2019

 

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