Sexualität, Einsamkeit und Suizid

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19.10.2016
Als Jakob Vetsch 1996 als reformierter Pfarrer von Gretschins nach Zürich zog, hinterliess er einen grossen Fussabdruck: Die Gründung der Internetseelsorge.

Zusammen mit dem Informatiker Stefan Hegglin sah der Rheintaler 1995 im neuen Medium Internet eine Chance, Menschen seelsorgerlich zu unterstützen. Sie gründeten den Verein Internet-Seelsorge und schalteten das Pilotprojekt «Regional Networks Rheintal» auf. 1996 konnte weltweit das erste kirchliche Online-Seelsorgeangebot über «Vorarlberg Online» aufgerufen werden, und ein Jahr später baute Vetsch ein Netzwerk unter Pfarrern auf, die sich dem Projekt anschlossen und fortan unter www.seelsorge.net erreichbar sind. 

Ein Team aus Experten 

Es bietet den Ratsuchenden einen leichten Zugang zur kirchlichen Seelsorge. Sie wird auf der Basis des christlichen Glaubens geleistet und steht allen Menschen, unabhängig ihrer Herkunft und Religionszugehörigkeit, offen. «Mittlerweile ist unsere Dienstleistung auch für Italienisch- und Französischsprachige zugänglich», erklärt die Koordinatorin Claudia Kriesi von seelsorge.net. Ziel sei es, möglichst rasch Hilfe zu leisten, in Kontakt zu treten mit der ratsuchenden Person. Das ehrenamtlich tätige, 18-köpfige Seelsorgeteam greift dabei auf die Erfahrung von Theologinnen und Pfarrern der katholischen und reformierten Kirche zurück, aber auch auf das Wissen von Psychologinnen, Diakonen oder Jugendarbeitern. 

Jüngere Schätzen das Angebot 

Und das Angebot wird seit Beginn weg gut genutzt. Jährlich kontaktieren durchschnittlich 800 Personen seelsorge.net. In den vergangenen 21 Jahren nahmen fast 20 000 Hilfesuchende die Dienstleistung in Anspruch. «Der grösste Anteil der Nutzer sind Menschen zwischen 16 und 40 Jahren, also gerade jene Generation, welche die herkömmlichen kirchlichen Angebote an ihren Wohnorten unterdurchschnittlich nutzen. Vermehrt haben wir auch noch jüngere Nutzer, bis zu 13-Jährige», sagt Kriesi. Oft gelangen jüngere Generationen im Schutz des anonymen Internets mit Sorgen und grossen Nöten ans Seelsorgeteam.

«Der grösste Anteil der Nutzer sind Menschen zwischen 16 und 40 Jahren, jene Generation also, welche die herkömmlichen kirchlichen Angebote unterdurchschnittlich nutzen.»

Intime und gerade in religiösen Kreisen häufig schamhaft besetzte Themen werden offen angesprochen: Beziehungen, Sexualität, Einsamkeit, Suizidgedanken. Reaktionen bleiben nicht aus: «Ich denke ab und zu an Deine Worte, die mich über ein halbes Jahr begleitet haben. Ich bin Dir so dankbar dafür!» Die in seelische Not Geratenen gehören laut Auskunft der Koordinatorin meist den reformierten und katholischen Kirchen an. «Es gibt aber auch freikirchliche und konfessionslose ‹User›, aber selten Menschen anderer Religionen, wobei sich die Anfragen vielfach um Lebenssorgen drehen und weniger mit der Religion verbunden sind.»

Nationales Angebot

Bei seelsorge.net handelt es sich um ein nationales Angebot der katholischen und evangelischen Kirchen der Schweiz. Trägerschaft ist der reformierte und katholische Stadtverband Zürich, die evangelische Landeskirche Zürich und die katholischen Kirchen des Kantons Zürich. Die St. Galler Kantonalkirche leistet einen Beitrag über die Deutschschweizer Kirchenkonferenz (KIKO). «Und einzelne Kirchgemeinden erheben gelegentlich eine Kollekte oder machen eine Spende», weiss Claudia Kriesi. Auf Rosen gebettet ist die Internetseelsorge trotzdem nicht, musste die Institution doch 2015 die Koordinationsstelle von 50 auf 30 Stellenprozente kürzen und die zwei Stellen eines Mail- und SMS-Masters von zehn auf fünf Prozent reduzieren.

Text: Katharina Meier | Zeichnungen: Finn und Sonja  – Kirchenbote SG, November 2016

 

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