Spiel der Maske mit dem wahren Ich

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28.01.2021
Die Maskenschnitzerfreunde Flums spitzen mit ihren Masken zu und karikieren Persönlichkeiten. Angst einflössen wollen sie nicht. Ihre Kunst gehört zum Unesco-Welterbe.

Bruno Bless gilt als Spiritus Rector der Maskenschnitzerfreunde Flums. Der Präsidenten der Kunsthandwerker ist aber nicht allein: Maskenschnitzen ist Mannschaftssport. Im alten Clubhaus des Flussballvereins haben die Schnitzerfreunde Heimat gefunden. Hier bieten sie auch ihre beliebten Schnitzkurse an. «Bisher waren es 32 Kurse mit fast 500 Teilnehmern aus der ganzen Schweiz.» Acht blitzsaubere Werkplätze stehen parat, dazu viel Holz. Vom rohen Block bis zur fast fertigen Larve ist jedes Stadium zu finden. Und Bruno Bless kann kaum an sich halten, gleich einmal das Schnitzmesser zur Hand zu nehmen und zum Feinschliff anzusetzen. «Es packt einen», bekennt er, «fast wie eine Sucht.» Schon als Kind habe er Freihandzeichnen geliebt, beim Schnitzen komme die dritte Dimension hinzu. «Es geht darum, Charakter und Leben ins Holz zu bringen», betont er. 

Karikiert, zugespitzt, nicht böse

Die hiesigen Masken fungierten dabei keineswegs als Dämonenmasken, die den Winter vertreiben sollten. «Flums kennt keine ‹gfürchigen›, bösen Masken.» Es handle sich vielmehr seit altersher um Charaktere, um karikierte Zuspitzungen von Persönlichkeiten aus dem Dorf, denen man auf diese Weise mal gefahrlos die Meinung geigen konnte. Sie dienten also einer speziellen Form des Diskurses, aber auch der Emotionskontrolle. Denn unter dem Schutz der Maske getraute man sich, sein wahres Gesicht zu zeigen, auch wenn die Betroffenen das im Gegensatz zum schenkelklopfenden Umfeld nicht immer lustig fanden.

«Die Flumser Chrottni ist dafür ein schönes Beispiel», erzählt Bless. Ihr rätselhaftes Lächeln habe in Flums den Stellenwert der Mona Lisa. Denn die Frau des Posthalters habe einst immer vor allen anderen Bescheid gewusst über Neuigkeiten im Dorf. So ging der Spruch um: «Die cheibe Chrott weiss immer alles früener als mier.» Dann kam heraus, dass sie ihr Wissen durch heimlich geöffnete Briefe erlangt hatte. Anstatt die Frau mannhaft zur Rede zu stellen, bastelten die Fasnächtler ein mobiles Postamt und zogen es per Pferdewagen durchs Dorf, mit brieföffnender «Chrott» darauf. Als der Posthalter das sah, legte er die Maske seiner Amtswürde ab und verwüstete den Nachbau. Seither hiess seine Frau «Chrottniwyb» und bildet heute das Logo der Fasnachtsgesellschaft. 

Organist Sennhauser tobte

Auch der Organist Josef Sennhauser wurde einmal aufs Korn genommen. Jener hatte einst derart Streit mit dem Pfarrer, dass er sich nach Berschis zurückzog. Seiner streitsüchtigen Art blieb er treu und verspottete nun die Berschner. Die wehrten sich, indem sie «heimelifeiss» beim Herrgöttlischnitzer Kalberer in Mels eine Maske in Auftrag gaben, wie aus dem Gesicht geschnitten. Der «Sennhuuser» tobte, und das Dorf war zufrieden. Ob sich der Sennhauser und seine Spötter später einmal ausgesprochen haben, um den Zwist ohne schützende Masken zu beenden, ist nicht überliefert. Aber zu hoffen. 

Unesco-Weltkulturerbe

Die Tradition lebe durch familiäre Weitergabe und in den Schnitzervereinen weiter, erzählt Bless. Heute seien rund 60 Schnitzer in der Talschaft Sarganserland-Walensee tätig. Sie schnitzten nicht nur historische Masken nach, sondern entwickelten auch neue. Darum hat es das Maskenschnitzen auf die Unesco-Liste des immateriellen Kulturgutes der Menschheit geschafft. Darauf finden sich prominente Bräuche wie die Innerrhoder Landsgemeinde, das Kinderfest in St. Gallen und der Sarganserländer Alpsegen.

Text | Foto: Reinhold Meier, Journalist BR und Psychiatrie-Seelsorger, Wangs – Kirchenbote SG, Februar 2021

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