Tanzen und am Leben teilnehmen
Regula Kündig, was tue ich, wenn ich den Verdacht habe, dement zu werden?
Wenn Sie es selbst feststellen, ist das eher die Ausnahme. In der Regel merken es die Angehörigen zuerst. Das hat auch damit zu tun, dass die fehlende Krankheitseinsicht zur Demenzerkrankung gehört. Aber wenn wir bei uns selbst oder bei unseren Angehörigen zum Beispiel eine verstärkte Vergesslichkeit bemerken, ist die erste Ansprechperson der Hausarzt oder die Hausärztin. Vergesslichkeit muss nicht immer Demenz bedeuten. Es kann sich auch um eine Depression handeln. Auch ein Vitaminmangel, eine Stoffwechselerkrankung oder ein Tumor können Gründe für zunehmende Vergesslichkeit sein. All diese möglichen Erkrankungen, die behandelbar sind, müssen ausgeschlossen werden. Das ist wichtig.
Wie bringe ich denn jemanden dazu, zum Hausarzt zu gehen, wenn die Krankheitseinsicht nicht vorhanden ist?
Ein schwieriger Prozess für beide Seiten. Es handelt sich eben nicht um einen Beinbruch, bei dem klar ist, ich muss zum Arzt. Darum ist es wichtig, der betreffenden Person mitzuteilen, dass man sich Sorgen macht. Sprechen Sie andere Krankheiten im Zusammenhang mit Vergesslichkeit an und empfehlen Sie, diese abzuklären. Über diesen Weg ist es einfacher für die Betroffenen, den Hausarzt aufzusuchen, als wenn die Personen direkt mit einer Demenz konfrontiert werden.
Was sind Risikofaktoren an einer Demenz zu erkranken?
Das Alter ist der grösste Risikofaktor. Diabetes, Bluthochdruck, Bewegungsmangel, übermässiger Alkoholkonsum, Rauchen, Hör- und Sehverlust, soziale Isolation, Depression und wenig geistige Anregungen sind weitere Risikofaktoren.
Kann ich präventiv etwas gegen die Demenz tun?
Ja. Obwohl wir uns nicht vollständig vor einer Erkrankung schützen können, lässt sich mit einem gesunden Lebensstil das Demenzrisiko um rund 40 Prozent verringern.
Dazu gehört auch eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Und Hörgeräte können unterstützen, dass wir nicht abhängen. Lebenslanges Lernen und Sport, Tanzen zum Beispiel, sind ideale Tätigkeiten, um Soziales und kognitive Fähigkeiten zu erhalten. Unbedingt weiter am Leben teilnehmen, das ist ein wichtiger Faktor.
Wenn ich Demenz als Diagnose bekomme. Was erwartet mich?
Das ist je nach Demenzform unterschiedlich (die Alzheimer Demenz ist die häufigste Form). Vergesslichkeit ist zwar eines der bekanntesten Anzeichen von Demenz, tritt meist aber nicht als alleiniges Anzeichen auf.
Es kann auch die Orientierung betreffen. Sie wissen zum Beispiel plötzlich nicht mehr, wie sie aus dem Laden kommen. Die Sprache wird beeinträchtigt, mitten im Satz findet die Person das richtige Wort nicht mehr, auch Persönlichkeitsveränderungen sind Anzeichen. Insgesamt ist es ein schleichender und leider nicht reversibler Prozess, dessen Tempo sehr individuell verläuft. Weder die Reihenfolge noch die Ausprägung der Symptome sind voraussehbar.
Gibt es auch Medikamente, die helfen?
Ja, es gibt Medikamente aber nicht als Heilmittel. Medikamente können die Entwicklung der Demenz verzögern und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern. Ein spezifisches Alzheimer-Medikament ist in den USA bereits zugelassen. Die EU hat Leqembi, so heisst das neue Medikament, abgelehnt, weil die Nebenwirkungen zu gross sind. In der Schweiz ist die Zulassung von Leqembi noch in Abklärung. Es gibt auf diesem Gebiet Hoffnungen für die Zukunft.
Der Verlauf der Demenz ist schleichend und nicht heilbar. Wenn die Krankheit so weit fortgeschritten ist, dass ich Hilfe brauche, was tue ich?
In Appenzell Ausser- und Innerrhoden bietet die Pro Senectute für Menschen im Pensionsalter Beratungen an (siehe Infokasten). Auch wir von Alzheimer St.Gallen/beider Appenzell bieten Beratungen an. Aber es gibt auch junge Menschen, die betroffen sind. Diese verweisen wir unter anderem an die Pro Infirmis für die finanzielle Beratung. Bei jungen Menschen kommt hinzu, dass es oft eine Odyssee ist, bis sie die Diagnose Demenz erhalten. Wer kommt schon auf die Idee, dass eine Vierzigjährige an Demenz erkranken könnte?
Was ist, wenn ich meine Mutter zu Hause betreuen möchte. Gibt es da finanzielle Unterstützung?
Je nachdem, wie gross der Umfang der Betreuung ist, ist es möglich Betreuungsgutschriften bei der AHV zu beantragen. Die werden dann auf dem AHV-Konto gutgeschrieben. Ein direkter Lohn ist das aber nicht. Es gibt auch die Möglichkeit, sich als Angehörige von der Spitex anstellen zu lassen. Dort sind die Anforderungen je nach Organisation sehr unterschiedlich. Es braucht in der Regel einen SRK-Pflegehelferkurs als Basis.
Was raten sie Angehörigen, die Demenzerkrankte zu Hause betreuen?
Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe und finanziell eine Herausforderung. Wir empfehlen daher immer, die Last auf verschiedene Schultern zu verteilen. Auch die Angehörigen müssen Zeit für sich und ihre Bedürfnisse haben. Es gibt viele Möglichkeiten der Entlastung. Und die Entscheidung, wann der richtige Zeitpunkt ist, eine an Demenz erkrankte Person in ein Heim zu geben, ist sehr individuell. Das können nur die direkt betroffenen Angehörigen entscheiden, sonst niemand. Es ist ein schwerer emotionaler Entscheid.
Wenn ich in meinem Umfeld Freunde oder Angehörige habe, die an Demenz erkrankt sind, was raten Sie mir?
Sind Sie so, wie Sie sind und nehmen Sie die Person so an, wie sie ist. Machen Sie Dinge, die die betroffene Person gerne macht. Gehen Sie zum Beispiel zusammen in ein Konzert, spielen Sie oder machen Sie eine Wanderung. Das sind Unternehmungen, bei denen die Defizite nicht im Vordergrund stehen.
Was ist Demenz?
Demenz ist der Oberbegriff für mehr als 100 verschiedene Krankheiten, welche die Funktion des Gehirns beeinträchtigen. Besonders die geistigen Fähigkeiten wie das Denken, das Gedächtnis, die Orientierung und die Sprache sind betroffen. Je nach Krankheitsform kann sich eine Demenz auch anders äussern, beispielsweise indem sich das soziale Verhalten ändert. Erkrankte Personen sind im Verlauf der Demenz zunehmend in ihren Aktivitäten des täglichen Lebens und/oder des Berufs eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen. Die bekannteste Form ist die Alzheimer-Demenz und die vaskuläre Demenz. Eher selten sind die Lewy-Körperchen-Demenz, die frontotemporale Demenz und die Parkinson-Demenz. Bis heute lassen sich diese Krankheiten nicht heilen.
Beratung und Information:
https://www.alzheimer-schweiz.ch
Geschäftsstelle Alzheimer St.Gallen / beider Appenzell
Scheibenackerstrasse 2
9000 St.Gallen
Geschäftsleitung, Regula Kündig
Tel. 071 223 10 46
Wo bekomme ich Hilfe im Appenzellerland?
Spezialsprechstunde Gerontopsychiatrie
Psychiatrische Dienste in Herisau (Gutenberg Zentrum) und in Heiden (Dunanthaus)
Leitung: PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich Michael Hemmeter
Tel. 071 353 81 99
Beratung der Pro Senectute Ausserhoden
Marianne Buchli Tel: 071 353 50 34
marianne.buchli@ar.prosenectute.ch
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