Tapfer Adieu gesagt
«Tuond umb Gotzwillen etwas Dapfers!» dieses Zitat des Reformatoren Huldrych Zwingli erhielt Kathrin Bolt, als sie vor knapp 14 Jahren in der reformierten Kirchgemeinde Straubenzell St. Gallen West ihre Stelle als Pfarrerin antrat. «Nun muss ich schon ein bisschen tapfer sein», sagte sie gestern beim Abschiedsgottesdienst in der Kirche Bruggen. Denn Adieu sagen falle ihr schwer. Weil es ihre erste Pfarrstelle war und Straubenzell eine so offene Gemeinde, dass sie und das ganze Team viel Tapferes machen durften – «oder zumindest Ungewöhnliches».
Theater gespielt und Kanzel zersägt
So erinnerte sie und auch ihre Vor- und Nachrednerinnen etwa an die Zeit als die Seelsorgerinnen und Seelsorger ihr Büro mit einem Popupcafé tauschten. Mit diesem zogen sie durch die Quartiere im Westen der Stadt St. Gallen. Dann war da das grosse Theater «Schall und Rauch», bei dem die halbe Gemeinde mittat und die katholische Kollegin den Teufel spielen durfte. Oder die Gottesdienste ohne Predigt. «Sogar in den Medien entstand eine Diskussion, ob es sich gehört, die Predigt einfach wegzulassen», erinnerte Rita Dätwyler, Präsidentin der Kirchgemeinde. «Quasi unerhört so etwas». Schliesslich Ende letzten Jahres, als Kathrin Bolt die Kanzel des Kirchgemeindehauses Lachen mit einer Motorsäge halbierte. Aus der Kanzel gabs einen Tisch und daran eine Gottesdienstreihe unter dem Motto: «Weg vom Monolog, hin zum Dialog».
Zu Fuss in Richtung St. Laurenzen
Schliesslich ihre letzte tapfere Tat für die Kirchgemeinde: Am Vorabend des Abschiedsgottesdienstes buk sie mit drei Kilogramm Mehl Brote für alle Gottesdienstbesucherinnen und -besucher. «Zur Stärkung auf den Weg». Ob ihre scheidende Pfarrerin nun tapfer war oder nicht, war letzteren einerlei. Denn gerne lassen sie Kathrin Bolt allemal nicht ziehen. Mit einem langen, herzlichen Applaus, verschiedenen Ansprachen und Geschenken sagten sie ihr danke. Und einfach so gehen lassen wollten sie sie auch dann immer noch nicht: Gemeinde und scheidende Pfarrerin machten sich gemeinsam zu Fuss von der Kirche Bruggen in Richtung St. Laurenzenkirche, der zukünftigen Wirkungsstätte von Kathrin Bolt.
Text und Bild: Andreas Ackermann / kid – Kirchenbote SG, 20. Juni 2022
Tapfer Adieu gesagt