Das «christliche Europa» ist ein Interessenkonstrukt

Trennung von Kirche und Staat

von Heinz Mauch-Züger
min
01.02.2024
Das Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Macht zieht sich als ein dauerhaftes Thema durch die Jahrhunderte. Das «christliche Europa» ist ein Interessenkonstrukt, welches je nach Ausgangslage den geistlich/kirchlichen wie den weltlichen Machthabern zu ihren Zwecken diente.

Eine fundamentale Verschiebung in Richtung weltlicher Machthoheit geschah mit der Reformation im ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts. Die Auswirkungen waren nicht nur in den reformierten Gegenden spürbar, sie stärkten auch die weltlichen Machthaber in katholischen Gebieten, die sich als Schutzherren noch einflussreicher positionieren konnten.

In der Eidgenossenschaft vor 1848 herrschten andauernde Spannungen unter den «Orten», die sich auch in kriegerischen Auseinandersetzungen entluden. Die Reformation verschärfte bestehende politische Abweichungen unter den Orten neu durch religiöse Differenzen (Kappeler Kriege 1529 und 1531, Villmerger Kriege 1656 und 1712 Sonderbundskrieg 1847).

Das Wissen um den Einfluss religiöser Weltanschauungen auf die Kulturentwicklung weicht mehr und mehr einer monetären und individualistischen Weltanschauung.

Die Bundesverfassung von 1848

Die Gründung der «modernen Schweiz» mit der Annahme der Bundesverfassung im September 1848 berücksichtigte die jeweilige konfessionelle Position der Kantone. Katholische und liberale, mehrheitlich reformierte Kantone, mussten zusammengeführt werden. Eine übergeordnete Regelung wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Mit der gewählten Vorgehensweise, den Kantonen die konkrete Ausgestaltung der Beziehungen zu den Kirchen bzw. zu religiösen Körperschaften zu überlassen, wurden die damaligen politischen Verhältnisse berücksichtigt und stabilisiert.

 

Was sagt die Bundesverfassung?

Die Bundesverfassung garantiert in Artikel 15 die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Damit verbunden ist das Recht, seine weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und zu bekennen. Weiter hat jede Person das Recht, einer Religionsgemeinschaft beizutreten, anzugehören und den dortigen Unterricht zu besuchen. Niemand darf zu einer Zugehörigkeit und damit verbundenen Aktivitäten gezwungen werden.

 

In Artikel 72 der Bundesverfassung wird das Verhältnis von Kirche und Staat geregelt. Dort wird die konkrete Regelung den Kantonen zugewiesen. Ferner wird darin ausgesagt, dass der Bund und die Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeit Massnahmen treffen können zur Wahrung des öffentlichen Friedens zwischen Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Erweitert wurde dieser Artikel mit einem dritten Absatz im Jahr 2009 durch das Verbot zum Bau von Minaretten. Diese Einschränkung weist darauf hin, dass gesellschaftliche Entwicklungen im Verlaufe des 20. Jahrhunderts in keiner Weise aufgenommen und verfassungsmässig geregelt wurden.

 

Unterschiede in den Kantonen

Die Kantone regeln ihren Umgang mit den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften selbständig. Im Bereich der christlichen Kirchen reicht das Spektrum von der vollständigen Trennung von Kirche und Staat bis hin zur öffentlich-rechtlichen das heisst «landeskirchlichen» Anerkennung.

 

In Appenzell Ausserrhoden gilt die landeskirchliche Anerkennung. In der Verfasssung in Kapitel 12 unter 12.1 wird das Verhältnis zwischen Staat und Kirche als öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft geregelt. Artikel 109 regelt den Grundsatz der Selbständigkeit, die Befugnis von ihren Mitgliedern Steuern zu erheben und in Absatz 3, dass interne Beschlüsse und Verfügungen nicht an staatliche Stellen weitergezogen werden können. Artikel 110 regelt die Zugehörigkeit nach der jeweiligen kirchlichen Verfassung und das Recht, aus der Kirche auszutreten. Das Verhältnis zu den reformierten Kirchenmitgliedern in Appenzell Innerrhoden wird in einem eigenen Vertrag geregelt.

 

Die grundsätzliche rechtliche Anerkennung der Kirchen durch den Staat bietet keine Gewähr für deren Bestand. Forderungen nach einer strikteren Trennung von Kirche und Staat mit Blick auf die Steuererhebungen via Kantone oder die Besteuerung juristischer Personen sind auch gegenwärtig noch auf der politischen Agenda. Der Pragmatismus aus der Gründerzeit und das Wissen um den Einfluss religiöser Weltanschauungen auf die Kulturentwicklung weicht mehr und mehr einer monetären und individualistischen Weltanschauung, wo nur das zählt, was einem persönlich etwas bringt.

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