Und er weinte über die Stadt
Lars Syring - Kain war irgendwie eifersüchtig auf seinen Bruder Abel. Damals lebten sie noch zusammen auf dem Lande. Der eine, Kain, war Ackerbauer, der andere, Abel, Viehzüchter. Davon erzählt unsere Bibel ganz am Anfang (Gen 4).
Kain und Abel, die zwei Landeier, hatten die Idee, sie könnten Gott ein Opfer bringen. Dass sich daraus ein tödlicher Wettkampf entwickeln sollte, gehörte, so vermute ich, nicht zum Plan. Sie wollten Gott Danke sagen. Ein ehrenwertes Unterfangen. Beide, Kain und Abel, bringen Gott ihr Opfer dar. Und Gott sieht offenbar nur das eine Opfer an. Warum das so ist, lässt unser Text offen. Genauso offen bleibt, wie Kain, der Landwirt, auf die Idee kommt, dass Gott sein Opfer nicht angesehen hat. Steckt dahinter der Kleinkrieg unter Nachbarn? Im Garten meines Nachbarn wachsen dickere Kartoffeln? Der grosse Baum in seinem Garten überschattet mein ganzes Beet? Hat er schon wieder den besseren Rasenmäher gekauft? Fällt Kain das Urteil nur in seinem Kopf? Erliegt er dem lebensvernichtenden Vergleichen? Oder gibt es handfeste Anzeichen? Ist ihm die Ernte verhagelt?
Item. Kain tötet seinen Bruder. Und Gott fragt nach. Nachdem Kain mit Gott um die Strafe gefeilscht hat, ist Gott gnädig und macht im ein Schutzzeichen, so dass er weiter leben kann/darf/soll/muss. Und was macht Kain? „Und er ging hinweg vom Angesicht des Herrn und wohnte im Lande Not, jenseits von Eden, gegen Osten.“ (Gen 4, 16). Und dann? Dann schwängert er seine Frau, sie bekommen einen Sohn und Kain baut eine Stadt! Eine Stadt. Kein Zelt. Kein Haus. Er baut eine Stadt. Fernab vom Angesicht Gottes, im Lande der Heimatlosigkeit und der Unruhe (Nod), wird ihm die Stadt ein Schutzort. Deshalb braucht sie eine Mauer drumherum.
Im Umfeld der Stadt entwickelt sich nun kulturelles Leben: Musik, Handwerk, Landwirtschaft blüht auf, aber auch Grössenwahn (Gen 4, 24) und Allmachtsphantasien (Gen 11).
Und auf dem Land? Bleibt es da, wie es ist?
Szenenwechsel. Jesus war offenbar am liebsten in Dörfern unterwegs. Rund um den See Genezareth gab es etliche davon. Dort spielt ein Grossteil der Geschichten in den Evangelien. Und vieles aus den Gleichnissen bezieht sich auf das Leben auf dem Lande.
Als Jesus sich auf den Weg in die Stadt macht, geht er auf seinen sicheren Tod zu. Er wusste, was ihn erwartet. Dabei wird er empfangen wie ein König: „Hosianna“, ruft die Masse. Doch als er das prachtvolle Jerusalem sieht, weint Jesus. (Lk 19, 41) Ist die Stadt so zum Heulen? „Wenn doch auch du erkennen würdest, was zum Frieden dient“, sagt Jesus. „Wenn doch auch du erkennen würdest, was zum Frieden dient.“ Offenbar ist das ein Problem in der Stadt. Die vielen Ablenkungen, das neueste Gerücht, das pralle Leben. Da verliert ein Mensch schon schnell den Überblick und den Blick für das Wichtige. Aber was ist das Wichtige? Jesus fordert ein, „was zum Frieden dient“. Nicht was der Zerstreuung dient. Oder dem Vergnügen. Nichts, was dem Vergleich standhält.
Und da schliesst sich der Kreis. Das, was dem Frieden dient, war ja auch schon bei Kain und Abel das Problem. Das ist ja das, was auch die Beiden nicht hingekriegt haben. Offenbar ist das Grundproblem in der Stadt gar nicht so anders als im Dorf.
Also: Was dient dem Frieden?
Und er weinte über die Stadt