«… und Ihr Verhältnis zum Chef?»

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22.12.2020
Ehebruch galt lange als Scheidungsgrund. Für die Richter von damals hiess es jeweils, die entscheidende Frage zu stellen. Mittlerweile hat sich der Umgang mit dem siebten Gebot gewandelt.

Bis zur Jahrtausendwende kannte das Zivilgesetzbuch neben dem allgemeinen Scheidungsgrund der tiefen und unheilbaren Zerrüttung auch noch besondere Auflösungsgründe, darunter den Ehebruch. Er wurde in der Gerichtspraxis wenig charmant umschrieben als «körperliche Vereinigung eines Ehegatten mit einer dritten Person des anderen Geschlechts». Eine enge, aber nicht intime Freundschaft gehörte gewiss nicht dazu. Das Bundesgericht – damals noch ein exklusiver Club älterer Herren – sprach hier aber von einer ehestörenden «tromperie morale» und meinte, eine so undurchsichtige Beziehung könne den Gatten unter Umständen noch schwerer kränken als ein Anfall sinnlicher Begierde.  

«Technisch präzise» fragen

Mit der Zeit verstanden immer mehr Ehepaare die Scheidung als Gegenstück zur Heirat. Sie gaben sich das Neinwort und mochten vor Gericht nicht mehr darüber reden, warum sie sich entliebt hatten. Ich erlebte es deshalb als Familienrichter nur noch ein einziges Mal, dass der Vorwurf des Ehebruchs erhoben wurde. Auf Antrag einer Ehefrau, die sich mit allen Mitteln gegen die Scheidung wehrte, musste ich die Sekretärin und angebliche Geliebte des Mannes als Zeugin einvernehmen, wusste aber nicht so recht, wie ich das anstellen sollte. In einem Lehrbuch hiess es, man tue gut daran, die entscheidende Frage nicht «verschämt und verbrämt», sondern «technisch präzise» zu stellen. Das wäre mir dann doch allzu peinlich gewesen.

 

«Ich habe gar kein Verhältnis, bloss eine Anstellung.»

 

Ich konnte mich aber auch nicht auf die gebräuchlichere Frage beschränken, ob die Zeugin mit ihrem Chef ins Bett gegangen sei. In einem alten Urteil wurde nämlich festgestellt, der Umstand, dass ein Ehegatte mit einer fremden Frau im Bett ertappt wurde, genüge nicht für den strikten Beweis eines Ehebruchs. So erkundigte ich mich möglichst taktvoll, in welchem Verhältnis die Zeugin zum Ehemann stehe – aber auch das gab noch Anlass zu einem Missverständnis. Sie habe gar kein Verhältnis, entgegnete die junge Frau schnippisch, sondern bloss eine Anstellung. Darauf beendete ich eilig das Verhör und freute mich insgeheim darüber, dass uns die unlösbare Aufgabe erspart blieb, zu prüfen, ob der Kläger am Scheitern der Ehe ausschliesslich, überwiegend oder nur erheblich schuldig sei. Im schlimmsten Fall hätte er 15 Jahre lang mit der Scheidung zuwarten müssen und wäre in der Ehe gefangen gehalten worden wie ein Vogel im Käfig. 

Ehebruch wird nochmals Thema

Nach der Revision des Scheidungsrechts wurde der Ehebruch unvermutet nochmals zum Thema. Eine Ehefrau, deren Stimmung stark schwankte, erzählte von sich aus, sie sei in depressiven Zeiten zu Hause geblieben und habe in manischen Phasen andere Männer gebraucht. Darauf wollte ihr der beleidigte Ehepartner keine Unterhaltsbeiträge bezahlen. Wir erklärten ihm, es komme nicht in Betracht, das ausgeschlossene Verschuldensprinzip durch die Hintertür wieder einzulassen, und deshalb könne auch aus wiederholter Untreue kein Grund zur Verweigerung des nachehelichen Unterhalts abgeleitet werden. Seither richteten wir uns im Familiengericht nicht mehr nach den von Moses überbrachten Tafeln, sondern hielten uns lieber an das Vorbild Salomos.

Text: Rolf Vetterli, ehemaliger Kantonsrichter und Kolumnist, St. Gallen | Illustration: Sandra Künzle, St. Gallen – Kirchenbote SG, Januar 2021

 

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