Versöhnung für die Welt

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24.03.2020
Im zweiten Korinterbrief interpretiert Paulus Versöhnung radikal anders.

«Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort der Versöhnung aufgerichtet hat.» (2 Kor 5,19)

Nach dem Aufstehen geht es los: Der Jüngere hat keine Lust, mit dem Älteren Quartett zu spielen. Dieser klaut daraufhin seinem Bruder das Lieblingsbuch. Der Jüngere gibt zurück mit Beschimpfungen, und schon fliegt ihm ein Spielzeug an den Kopf.

Klauen, zerbrechen, nerven

Es kommt in den besten Familien vor, und unendlich ist die Liste möglicher Gründe: Da wird geklaut, zerbrochen, genervt und die Vergeltung folgt auf dem Fuss. Am Schluss fliessen Tränen, Eltern wagen den aussichtslosen Versuch einer gerechten Rechtsprechung, oder der Ärger verraucht.

Streit auch in der Chefetage

Laut Studien streiten Kinder im Schnitt alle zwanzig Minuten. Die ständigen Konflikte gehören zur Entwicklung. So lernen sie, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, ihre Wünsche auszudrücken und sich gegen andere durchzusetzen, sich in andere hineinzuversetzen. Sie müssen Kompromisse schliessen, verzichten oder tauschen. Und nicht nur Kinder müssen diese Dinge lernen; in den Chefetagen und unter Eheleuten läuft es ähnlich, einfach in der Regel weniger auffällig.

Ausgleich schaffen

Alles ist Verhandlungssache: Womit wird was vergolten? Was will ich bekommen, was bin ich bereit, dafür zu geben? Die alten Griechen nannten dieses Aushandeln «katallagein». Das Wort umschreibt den Tausch auf dem Marktplatz. Später benutzte man es im Sinn von «Ausgleich schaffen» bei Konflikten, wenn Feinde Frieden schlossen. Schliesslich umfasste der Begriff auch den Frieden zwischen Himmel und Erde, etwa bei Opfergaben, um den Zorn der Götter zu besänftigen.Paulus aber interpretiert «katallagein» radikal anders. Gott rechne dem Menschen die Verfehlungen nicht an, schreibt er im zweiten Korinterbrief, und schiebt nach: «Lasst euch versöhnen mit Gott!»

Gott rechnet Schulden nicht an

Muss Gott durch Opfer oder anderweitig versöhnt werden? Nein, die Welt ist es – die ganze! –, die da Versöhnung annehmen soll. Jeden Tag aufs Neue. Menschen mögen in Kategorien wie Aufrechnen oder Heimzahlen denken, Gott nicht. Nicht einmal abschreiben muss er die Schulden der Menschen, er rechnet sie ihnen nämlich gar nicht erst an.

Die Erlösung am Kreuz verstehe ich darum so, dass sie uns befreit zu einem Leben ohne zu beherrschen und zu vergelten, ohne aufzurechnen und nachzutragen. Vielleicht gelingt es uns dann, selbst Schulden zu erlassen und dem Bruder das Lieblingsbuch zurückzugeben.

Text: Matthias Schneebeli, Pfarrer, Uznach | Foto: pixabay – Kirchenbote SG, April 2020

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