Versprecher von der Kanzel

Versprecher

von Annette Spitzenberg
min
16.06.2023
Pfarrer Hartmut Walsdorff hat wirklich geäusserte Versprecher gesammelt. Mithilfe dieser Versprecher ist der nachfolgende Artikel der etwas anderen Art entstanden. Humor ist natürlich etwas sehr Individuelles. Was die eine lustig findet, mag den anderen befremden und umgekehrt.

Humor ist ein wichtiger Resilienzfaktor. Die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können, trägt dazu bei, sich mit innerer Distanz wahrnehmen zu können. Ich als verdorbener Diener, äh Verdiener, als verruf – äh, o je, ich verordneter und berufener Diener der Kirche Jesu Christi. Als gute Seelsorgerin muss ich mit Menschen- und mit Teufelszungen reden.

 

Humor reflektiert auch Staaten und Systeme. Daher werden Humor und Satire von Diktatoren aller Welt gefürchtet. Da gibt es keine Hofnarren mehr, die vor dem König laut sagen, was alle anderen nur denken dürfen. Ärzte bescheinigen dem Ex-Diktator volle Zuunrecht, pardon Unrechtszu – zu volle Rechnungsfähigkeit.

Vor Gott sind alle Menschen bleich.

Humor und Religion passen heute gut zusammen. Das war nicht immer so: Augustinus sah Lachen als Sünde an, was Umberto Eco zu seinem mittelalterlichen Roman «Der Name der Rose» inspirierte. Man denke nur an die im Mittelalter üblichen grausamen Kerzenverbrennungen. Lassen wir uns daher lieber heute inspirieren: Und eine Spinne rief vom Himmel: «Vor Gott sind alle Menschen bleich.» Da frage ich mich, wird da Gott als woke oder als Rassist entlarvt?

 

Gottes Regieanweisung gilt noch immer: Sechs Tage sollt ihr schlafen, am siebenten ausruhen! Daher kommt es wohl: Der Herr hat uns im Schlaf erwischt. Weil Arbeit nicht alles ist, gebietet Gott: Du sollst den Freitag heiligen! Lassen wir nun auch die Bibel zu Wort kommen, denn: Dein Wort ist ein Wicht auf unserem Weg, also Vorsicht, gut hinschauen! Gott wird deinen Fuss nicht fallen lassen, das gilt auch für Amputierte. Fast schon im Wellnessbereich liegt: Der Herr ist meines Fusses Feuchte, oder handelt es sich gar um Fussschweiss? Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er zahlt für euch, lassen wir uns also fröhlich pensionieren. Oder vielleicht eher: Alle eure Särge werft auf ihn? Tierethisch schwierig finde ich die Aufforderung: Gehet ein durch die enge Pfote. Christus spricht: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und geladen seid. Manchmal kommt Christus auch zu uns: Siehe, ich stehe vor der Tür und klingle, ganz modern schon damals. Die Schrift tröstet uns: wo zwei oder drei vergammelt sind… da sind die Fliegen nicht weit.

 

Manche Pfarrpersonen neigen scheinbar zu Mordgelüsten: Am liebsten würde ich heute alle Konfirmationsfamilien beerdigen. Auch nicht ganz so hilfreich: Liebe Konfirmierte, wir werden immer für euch da sein, wenn wir euch brauchen. Was sich allerdings in Kirchenbänken so alles abspielt: Liebe Gemeinde, lasst uns während des Liedes in den Reihen rammeln. Daher lasset uns singen: Herr, deine Liebe liegt im Gras am Ufer. Eines der bekanntesten Lieder von Paul Gerhard fordert uns auf: Geh aus, mein Herz und suche Streit. Während der Kollekte sammeln wir das nächste Lied ein. Da hilft wohl nur noch beten: Nun lasst uns in der Stille und mit lautem Herzen beten: Gott gebe unsern Flügeln Träume... Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldienern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Pöbel.

 

Zum Glück gilt: Gott breitet über uns allen seinen weiten Schmutzmantel aus. Am Schluss verbleibt deshalb nur noch: Darum prüfet – und behaltet am besten alles.

Unsere Empfehlungen

Ist KI ein besserer Gott?

Ist KI ein besserer Gott?

Christina Aus der Au philosophierte im Rahmen der Konferenz «Grenzdenken» über Künstliche Intelligenz (KI). Dabei wies sie auch auf die Gefahren hin, die lauern, wenn KI mit Gott gleichgestellt wird. Was abwegig klingt, ist in Kalifornien schon Realität.
Tim Krohn: Lebt es sich auf dem Land freier?

Tim Krohn: Lebt es sich auf dem Land freier?

Lebt es sich auf dem Land freier? Das ist eine Frage mit mehreren Fallstricken. Freier als wo? Freier wovon? Freier wozu? Und ist die Freiheit überhaupt die wesentliche Grösse, wenn wer aufs Land zieht? Ein Beitrag von Schriftsteller Tim Krohn zum Fokusthema Stadt und Land.
Wer lässt sich für eine Woche einschliessen?

Für eine Woche eingeschlossen

Eine Woche in der Einsamkeit sein und trotzdem mitten im Leben stehen? Das können Interessierte in der nachgebauten Zelle der Heiligen Wiborada von St. Gallen erleben. Für die Zeit vom 25. April bis 30. Mai 2025 werden dazu fünf Personen gesucht.