Volle Kassen und kein Grund zum Jubeln

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20.07.2016
Im letzten Jahr haben die meisten Deutschschweizer reformierten Kantonalkirchen grosse Überschüsse erzielt. Zug und Zürich sind an der Spitze, verteilen aber nun trotzdem keine Geschenke.

Die Kassen der Kantonalkirchen haben 2015 kräftig geklingelt. Ausser Baselstadt, Baselland und Appenzell haben alle Überschüsse erzielt: Zürich 1,3 Millionen Franken, St. Gallen und Thurgau je 450‘000 Franken, Bern-Jura-Solothurn 340‘000, Schaffhausen 270‘000, Luzern 190‘000 und Freiburg 130‘000 Franken. Die Zuger Kirche führt die Rangliste an mit üppigen 2,1 Millionen. Wie ist das möglich, wo doch die Mitgliederzahlen der meisten Kantonalkirchen abnehmen?

Die Finanzberichte geben Aufschluss: Zum einen waren die Steuererträge höher als erwartet, zum anderen die Kosten tiefer. «Die Abweichung vom Budget ist etwa je zur Hälfte auf grössere Einnahmen und verminderte Ausgaben zurückzuführen», heisst es im Thurgau. In Luzern haben höhere Steuereinnahmen, das Nichtbesetzen diverser Stellen sowie das Auflösen eines Fonds zum Überschuss geführt.

In der Freiburger Kirche hat man ebenfalls Stellen nicht besetzt. Und bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn wird «mit Genugtuung» festgestellt, dass erneut «sehr sparsam mit den verfügbaren Mitteln umgegangen worden ist». Beim Sachaufwand seien über 600‘000 Franken weniger als geplant ausgegeben worden.

Zug: Schulden tilgen

Eine Nachfrage zeigt bei Spitzenreiter Zug, dass sich auch hier verschiedene Faktoren ausgewirkt haben. So seien die Steuereinnahmen um rund 320‘000 Franken höher als budgetiert ausgefallen, wie Kirchenschreiber Klaus Hengstler sagt. Weiter seien 300‘000 Franken weniger investiert worden, es habe markant weniger Abschreibungen gegeben, und man habe diverse Projekte nicht durchgeführt. Auf die Frage, ob richtig budgetiert worden ist, meint Hengstler: «Die höheren Steuereinnahmen sind nicht einfach erklärbar und können nur schwerlich genau budgetiert werden.»

Auffällig bei Zug ist, dass von den zwei Millionen nur 85‘000 Franken für diakonische Projekte verwendet werden. «Das scheint mickrig», räumt Hengstler ein, «aber wir haben 20 Millionen Schulden, die vom Bau des Kirchenzentrums stammen. Deshalb müssen wir zwei Millionen in die Tilgung stecken.» Zudem habe man innerhalb des regulären Budgets zahlreiche Projekte unterstützt.

Zürich: Keine Party angesagt

Keine Wolken also am kirchlichen Finanzhimmel? Vor zu viel Schulterklopfen warnt der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller. «Unsere Mitglieder sind eher älter, aber wirtschaftlich erfolgreich. Das ist erfreulich, aber es kommen weniger jüngere Mitglieder nach und damit weniger neue Steuerzahler.» Müller vergleicht die kirchliche Finanzlage mit einer Welle, die zwar immer noch steige, gleichzeitig nehme die Wassertiefe ab, «und irgendwann bricht die Welle».

Dazu kämen die Unsicherheiten der juristischen Kirchensteuern, die je nach Wirtschaftslage schwankten, sowie der Unternehmenssteuerreform III, bei der man nicht wisse, wie stark die juristischen Steuern zurückgingen. Wegen des Mitgliederrückgangs sänken auch die Anteile an den Staatsbeiträgen und an den juristischen Steuern.

Deshalb sei es trotz momentan guter Finanzen nicht opportun, den Überschuss grosszügig zu verteilen. Hier ist sich Müller mit der Zuger Kirche einig, auch wenn sich die beiden Kirchen aus historischen Gründen stark unterscheiden. Müller vergleicht die Situation der Zürcher Kirche mit einem älteren, wohlhabenden Ehepaar, das plötzlich sein Geld mit Partys verprasse. «Wir haben eine Verantwortung, unser Erbe zu erhalten, zum Beispiel die historischen Gebäude. Das kostet.»

Man solle zudem an der Kirchenorganisation der Zukunft bauen, damit der kirchliche Auftrag weiter erfüllt werden könne. Von daher sei es auch besser, jetzt einen Sozialdiakon einzustellen, als grosszügig Geschenke zu verteilen oder ein neues Kirchgemeindehaus zu bauen, «dessen künftige Kosten die nächste Generation belasten».

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Matthias Böhni/ref.ch, 20. Juli 2016

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