«Wann bin ich noch ich?»
Herr Bolliger, Sie haben internationale Stars als Schauspieler für Ihren Film gewinnen können. Wie ist Ihnen das gelungen?
Rafael Bolliger: Durch das Thema. Rutger Hauer hat angesprochen, dass es um Erinnerungen geht. Der Film war für ihn auch eine Rückkehr zu seiner Blade-Runner-Rolle. Das hat ihn gefreut.
Wie war die Arbeit mit den Schauspielern?
Bolliger: Am ersten Tag war es schwierig. Rutger wollte den Film komplett umschreiben, als ich ihn im Auto vom Flughafen abholte. Ich liess ihn machen. Als dann die anderen Schauspieler eingetroffen sind, habe ich ihnen seine Version gezeigt. Sie fanden die ursprüngliche Version besser und waren sehr direkt zu ihm. Da hat mich Rutger angeschaut: «Aha, this is how you do it.» So haben wir die Originalfassung gedreht.
Was ist Ihre Lieblingsstelle im Film?
Bolliger: Der Arzt sagt zum Patienten, während er dessen Gehirn kopiert: «Wenn du am Morgen aufwachst, woher weisst du, dass du die gleiche Person bist wie gestern Abend?» Diesen Gedanken finde ich stark.
Im Film geht es um Identität.
Bolliger: Die Identität ist im Wandel. Der Mensch erneuert alle seine Zellen innerhalb von sieben Jahren. Was passiert nun, wenn du nicht über sieben Jahre hinweg deine Zellen erneuerst, sondern auf einen Schlag? Bist du dann immer noch die gleiche Person?
Und? Ist man dann noch die gleiche Person?
Bolliger: Es gibt dazu eine Geschichte, die auf Plutarch zurückgeht. Das berühmte Schiff des Theseus fährt einen Fluss hinunter. Hie und da fällt eine Planke raus und wird ersetzt. Hinterher fährt jemand und sammelt alle alten, herausgefallenen Planken ein. Daraus baut er ein neues Schiff. Welches ist nun das richtige Schiff des Theseus? Das erste, bei dem alle Planken Stück für Stück ersetzt wurden, oder das zweite, das aus den herausgefallenen Planken neu zusammengebaut wurde? Im Film geht es um die Frage: «Wann bin ich noch ich?»
Darauf gibt der Film zwei Antworten. Die Assistentin bedauert, den Patienten getötet zu haben, indem sie dessen Gehirn kopiert hat. Der Arzt erwidert: «Nein, wir haben ihn gerettet.» Wer hat recht?
Bolliger: Der Arzt, meiner Meinung nach. Was uns ausmacht, sind unsere Erinnerungen. Wenn man unsere Erinnerungen kopieren kann, sind wir nicht mehr einmalig. Damit haben viele Menschen Mühe, weil sie sich in ihrem Wert reduziert fühlen. Das halte ich für etwas narzisstisch.
«Die Suche nach Gott und Science-Fiction sind nahe beieinander.»
Mir ist eine Parallele zu den Evangelien aufgefallen. Dort ist zunächst unklar, ob der Auferstandene, der den Jüngern begegnet, wirklich Jesus ist. Die Emmaus-Jünger erkennen ihn erst, als er das Brot bricht. Thomas überprüft seine Identität anhand der Wundmale an den Händen. Und Maria Magdalena hält ihn für den Gärtner. Erst als er sie mit «Maria» anspricht, fällt es ihr wie Schuppen von den Augen.
Bolliger: Ich denke, die Wundmale machen seine Identität nicht aus, sondern seine Erinnerungen. Ich hätte den Gärtner gefragt, was er gestern Abend gegessen hat. Ich suche im Film das Einmalige, Nicht-Kopierbare.
Was fasziniert Sie an Science-Fiction?
Bolliger: Man ist frei, eine Welt zu gestalten und zu fragen, wie sich die Menschheit entwickelt. Es ist wie eine weisse Leinwand. Man kann philosophische Fragen anschaulich diskutieren. Die Suche nach Gott und Science-Fiction sind einander nahe. Ich mache Filme, weil ich nach Wahrheit suche.
Interview: Stefan Degen | Foto: Rafael Bolliger – Kirchenbote SG, Dezember 2019
«Wann bin ich noch ich?»