Warum es Frauen nicht an die Spitze schaffen

min
04.04.2017
Frauen in Kirchenleitungen werden immer rarer. Eine prominent besetzte Tagung von ehemaligen und amtierenden Kirchenpräsidentinnen zeigte die Gründe. Auch heute müssen Frauen in Kirche und Politik mit Vorurteilen und der Doppelbelastung Beruf und Familie kämpfen.

Um Frauen in den Kirchenleitungen steht es schlecht. Während sie in der Wirtschaft vermehrt in den Verwaltungsräten einsitzen, geht ihre Zahl in den Deutschschweizer Kirchenpräsidien zurück. Gab es vor ein paar Jahren zwölf Kantonalpräsidentinnen, so sind es momentan nur noch drei. Dies in den kleinen Diasporakirchen Uri, Luzern und Solothurn.

«Die Entwicklung bereitet uns Sorge», erklärten die Teilnehmerinnen an der Tagung von PanKS in Zürich. Der Verein PanKS, in dem amtierende und ehemalige Vize- und Präsidentinnen der Kantonalkirchen sitzen, unterstützt Frauen in den Ämtern. Jährlich verleiht der Verein den Sylvia-Michel-Preis zur Förderung von Frauen in der kirchlichen Führung. Die Schweizer Reformierten seien im Bezug auf die Stellung der Frauen einmalig, erklärte PanKS-Präsidentin Monika Hirt. Seit 50 Jahren stehen den Frauen alle Kirchenämter offen. Die meisten evangelischen Kirchen auf dieser Welt kennen keine Präsidentinnen. Trotzdem müsse man sich fragen, warum in der Deutschschweiz so wenige Frauen den Sprung an die Spitze schaffen. Im Theologiestudium bildeten die Studentinnen die Mehrheit. Vermutlich wirke da der Leaking-Pipeline-Effekt, so Monika Hirt. «Je länger die Pipeline, um so mehr Frauen fallen heraus.»

Stillende Regierungsrätin erregt Aufsehen
Auf dem Podium berichteten drei Frauen von ihren Erfahrungen in der «Leaking-Pipeline». Manuela Weichelt-Picard wurde mit 40 Jahren Zuger Regierungsrätin. Sie ist die einzige Frau in der männerdominierten Regierung. Frau Landammann warnte davor, den Erfolg oder Misserfolg auf die Geschlechterrolle zu schieben. Trotzdem sei es auch heute schwierig, Karriere und Kinder unter einen Hut zu bringen, sagte Weichelt-Picard. Sie selber musste diese Erfahrung machen. Als sie stillte, nahm sie ihr Kind mit zur Arbeit und gab ihm dort die Brust. Das erregte in den Medien und der Öffentlichkeit Aufsehen. Selbst die Fasnachtszeitung griff das Baby im Amtshaus auf: Der Regierungsrat wurde als krabbelnde und spielende Kinderschar abgebildet.

Später wollte eine junge Journalistin von Weichelt-Picard wissen, wie oft sie ihre Kinder sehe. Weichelt-Picard fragte zurück: «würden Sie dies einen Regierungsrat fragen? Auch dieser hat Kinder.» «Aber Sie sind kein Mann», erwiderte die Journalistin. Solche Reaktionen zeigen Manuela Weichelt-Picard, dass Frauen an der Spitze nach wie vor nicht selbstverständlich sind. Entsprechend würden sie in den Medien qualifiziert: «Fällt eine Frau einen Personalentscheid, wirft man ihr vor, sie sei herrschsüchtig und machtgierig. Den Mann hingegen lobt man für seine Führungsstärke und Kompetenz. Zeigt eine Frau Gefühle, heisst es, sie sei emotional, beim Mann, er sei leidenschaftlich. Ist eine Frau in ihrem Ressort sattelfest, so wirft man ihr Dossierversessenheit vor. Beim Mann spricht man von dossierfest.»

Frauen scheuen Kaderstellen
Rita Famos erlebt, dass Frauen oftmals Leitungsfunktionen scheuen. Der Abteilungsleiterin der Zürcher Landeskirche unterstehen hundert Mitarbeitende. Zudem war Famos Ratsmitglied des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes. Sie macht die Erfahrung, dass Frauen eher absagen, wenn man sie für eine Kaderstelle anfragt. Auch sie selber brauchte jemanden, «der mich ins Amt schubste». Und einen Ehemann, der sie unterstützte. «Für mich stellte sich die Frage nie, ob Kind und Beruf vereinbar sind.»

«Eine Frau hintersinnt sich ständig, 'kann ich das?'. Ein Mann fragt sich dies nie», sagte Andrea Trümpy, ehemalige Gemeindepräsidentin der Stadt Glarus und Vizepräsidentin der reformierten Kirche Kanton Glarus. Frauen brauchten Leute, die sie unterstützen, die hinter ihnen stehen und mit denen sie sich austauschen können, erklärte Manuela Weichelt-Picard. «Ihre Schwierigkeiten fangen bei den fehlenden Krippenplätzen an und setzen sich später fort, wenn die Schule unerwartet die Kinder heimschickt.» «Nehmt die Kinder mit an euren Arbeitsplatz», fordert die Regierungsrätin dann jeweils ihre Mitarbeitenden auf. Wegen der Doppelbelastung Beruf und Familie wollten sich viele Frauen den Stress eines Leitungsamtes nicht antun, so Weichelt-Picard. Und für ein Ehrenamt wie in der Kirche reiche die Kraft dann nicht mehr. Hinzu komme, dass den Kirchenämtern heute das Prestige fehlt, meinten die Podiums-Teilnehmerinnen.

«Beziehungsstark, aber netzwerkschwach»
Antworten für die Zukunft gab es an der Veranstaltung kaum: Andrea Trümpy rät den Frauen, den direkten Weg in die Politik zu nehmen und nicht wie in der Vergangenheit über die Schul- oder Kirchenbehörde. Davor müssten sich Frauen nicht fürchten. «Auch Männer kochen nur mit Wasser.» Frauen sollten sich stärker vernetzen, sagte Rita Famos. Gerade in Politik und Wirtschaft liessen Männer oft ihr Netzwerk spielen. «Wir Frauen sind beziehungsstark, aber netzwerkschwach.»

Tilmann Zuber / Kirchenbote / 4. April 2017

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Unsere Empfehlungen

Das Ende des Abendmahlstreits

Das Ende des Abendmahlstreits

1973 schrieben die protestantischen Kirchen Europas im Kanton Baselland Kirchengeschichte. Sie beschlossen Kirchengemeinschaft. Dies vereinfacht seither vieles zwischen den Reformierten, Lutheranern und Unierten. Manche Themen sind nach wie vor umstritten.