Was Frau am 1. August macht
Dieses Jahr bin ich am 1. August mit einer guten Freundin auf dem Weg in die Ferien, oder eher «Workation». Wir haben nämlich ein bisschen was zu arbeiten, verbinden es aber gerne mit dem Vergnügen.
So ist es in diesem Jahr wie in vielen Jahren zuvor. Als Kinder hatten mein Bruder und ich Freude an Fähnli und Lampions und hingen sie an unseren Balkon. Während der Fussball-WM war das weisse Kreuz auf rotem Grund aber noch viel präsenter. Da der 1. August eigentlich immer in die Sommerferien fiel, machten wir als Familie oft einen Ausflug an den Bodensee und assen Bratwurst.
Meine schlimmste Erfahrung mit dem Nationalfeiertag ist gar nicht so lange her. Wir waren als Familie bei Nachbarn eingeladen, wie viele andere auch. Zur Feier des Tages wurde eine Batterie mit Feuerwerkskörper gezündet. Der Wind drehte von einer Sekunde auf die andere und die Raketen schossen plötzlich am Boden entlang statt in die Luft. Verständlicherweise rannten alle davon und konnten das Spektakel nicht geniessen. Zum Glück wurde niemand verletzt.
Heute hänge ich keine Schweizer Flagge auf, lasse keine Korken und Böller knallen und sehe dem Höhenfeuer nicht zu. Dennoch bin ich eine stolze Schweizerin und mir meiner Privilegien bewusst.
Der 1. August ist ein schwieriger Tag. Was sollen wir da denn feiern? Eine Legende? Dass gerade dieser Tag unser Nationalfeiertag ist, beruht eigentlich nur auf einem Zufall. Wir haben keine grosse Schlacht oder andere historische Ereignisse zu verzeichnen. Die Nationalhymne kennen in meinem Freundeskreis auch nur noch jene, die im Militär waren. Gerade noch die erste Strophe können einige mitsingen. Ich veranstalte keine Party. So, wie andere nicht gerne ihre Geburtstage feiern oder an Weihnachten auf starre Traditionen verzichten. Sondern das tun, was sie immer tun an freien Tagen – Dinge, die ihnen Spass machen, ausspannen.
Vor einigen Jahren war ich am 1. August auf dem Rütli. Die interreligiöse Arbeitsgemeinschaft Iras Cotis war mit einigen interessierten Guides aus dem Projekt Dialogue en Route auf der Rütliwiese. Eine dieser Guides war ich. Wir verteilten Flyer, Sitzkissen und machten Werbung für das Projekt, das einlädt, die religiöse und kulturelle Vielfalt der Schweiz zu entdecken. Junge Guides führen unter anderem Schulklassen durch ausgewählte Routen und Institutionen wie das Haus der Religionen oder die Fluchtroute in Hohenems und vermitteln dadurch ihr Wissen, schaffen Neugier oder beantworten Fragen. Den 1. August an einem für die Identität als Schweizerin bedeutenden Ort zu feiern, war natürlich eine eindrückliche Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Durch das Statement für religiöse und kulturelle Vielfalt ergibt für mich der Nationalfeiertag wieder Sinn. Iras Cotis ist übrigens auch dieses Jahr wieder zu Gast auf der Rütliwiese.
Ich strecke heute erstmal die Beine aus, geniesse ein kaltes Getränk, schnuppere frische Bergluft und lasse mich auf den neusten Stand bringen von der Freundin. Ihnen, liebe Leser:innen, wünsche ich einen schönen 1. August, egal ob ruhig oder mit viel Krach.
Vera Holz
Vera Holz ist Studentin der Religionswissenschaft und TAV-Deutsche Literatur, in Ausbildung zur Gymnasiallehrerin und Podcasterin bei wortreich - der literaturpodcast.
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