Waschen, schneiden, föhnen, legen
«Haltet bitte die Türen geschlossen, die Pizzen werden sonst kalt.» Eine Helferin von Endless Life schliesst die Tür zum Eingangsbereich gleich selber. «Kommt nicht mehr drauf an, sind eh schon kalt», entgegnet Rhyad grinsend und kaut weiter. Das ist keineswegs böse gemeint oder gar undankbar, sondern schlichte Gassendirektheit. Rhyad ist froh um das Angebot, auch wenn es seiner Meinung nach etwas früher am Abend beginnen dürfte. Zum Beispiel um fünf, wenn die Gassenküche schliesst. Und nicht erst um halb acht.
Coiffeusen arbeiten gratis
Dass «Schnipp Schnapp», eines von vielen Angeboten des Hilfsvereins «Endless Life», erst so spät beginnt, hat gute Gründe. Die vier bis fünf Coiffeusen arbeiten nämlich alle ehrenamtlich. Einmal im Monat können Menschen mit wenig oder gar keinem Einkommen sich hier, in einem Vereinsgebäude im St. Galler Linsenbühlquartier, gratis die Haare waschen und schneiden lassen. Das Angebot gibt es seit 2009 und ist sehr beliebt.
Auch an diesem Montagabend bildet sich vor dem Eingang rasch eine Schlange. Um die Wartezeit draussen zu überbrücken, werden – ebenfalls kostenlos – Pizzen und Getränke gereicht. Rhyad ist als Erster da. Der 47-Jährige blickt auf eine bewegte Suchtgeschichte zurück. Er war auch schon obdachlos, doch das ist Vergangenheit. «Eigentlich schneidet mir sonst jemand die Haare, aber ich komme immer wieder mal hier vorbei», sagt er. «Ich finde es super, dass hier lauter professionelle Coiffeusen arbeiten – und erst noch gratis.»
Gründer war früher selber süchtig
Nachdem sich Lea im hinteren Teil des Raums hat die Haare waschen lassen, setzt sie sich zu Coiffeuse Isabelle auf den Stuhl. Mit Blick aufs Handy besprechen sie noch letzte Frisurwünsche, dann macht sich Isabelle ans Werk. «Über Facebook habe ich erfahren, dass ‹Endless Life› Coiffeusen sucht, so bin ich vor etwa acht Jahren zum Team gestossen», erzählt sie. Sie könne so einfach mit ihren Händen einen guten Dienst verrichten.
Lea geniesst unterdessen das Haareschneiden. Die 26-Jährige hat ebenfalls eine Suchtvergangenheit, ist aber seit drei Jahren sauber, wie sie sagt. Heute bezieht sie eine IV-Rente. «Viele Leute haben das Gefühl, das reiche zum Leben, doch das stimmt nicht», sagt sie. «Vor allem für Frauen ist Haareschneiden heute sehr teuer. Darum bin ich so froh, gibt es dieses Angebot.»
«Das Schnipp-Schnapp-Team ist das geilste und lebendigste», freut sich Thomas Feurer, der umtriebige Vereinspräsident und Gründer von «Endless Life», der heute auch vor Ort ist und in Gassenarbeitermanier da und dort einen kurzen Schwatz hält. Der 52-Jährige hat – bis zu seinem «Erweckungsmoment» im Spital 2003 – selber lange mit einer Drogensucht gekämpft. Heute ist seine Mission, Bedürftigen zu helfen. Sein freikirchliches Engagement als Seelsorger trennt er allerdings von seiner fürsorgerischen Vereinstätigkeit. «Wir sind keine christliche Hilfsstelle, sondern eine Hilfsstelle mit Christen.» Bei «Endless Life» seien alle Menschen unabhängig von ihrem Glauben willkommen.
Thema mit Scham verbunden
Um Rhyads Kopfbehaarung kümmert sich heute Maria. Sie stutzt ihm die Haare, vor allem an den Seiten, trimmt und konturiert seinen Bart. Maria ist gelernte Coiffeuse und über sieben Ecken zu diesem freiwilligen Engagement gekommen. «Ich wollte schon immer etwas Gutes tun, aber um zu spenden, fehlt mir das Geld, und um ein Kind zu adoptieren, fehlt mir die Zeit», sagt die 50-Jährige. «Hier kann ich ganz einfach mit meinem Beruf jemandem eine Freude machen.»
Maria wollte eigentlich ein ähnliches Projekt in Arbon aufziehen. Doch wollte niemand sich die Haare schneiden lassen. Das körperliche Thema ist für einige, an die sich das Angebot richtet, mit Scham verbunden. Eine solche kennt zumindest jenes bunte, fröhlich plaudernde Dutzend nicht, das sich an diesem Abend vor dem Eingang tummelt.
Waschen, schneiden, föhnen, legen