Welche Zukunft hat die Kirche?

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24.04.2018
Der Theologe Ralph Kunz nimmt kein Blatt vor den Mund, analysiert messerscharf, gibt aber auch Gedanken auf den Weg, wie sich die Kirche dereinst entwickeln kann.

Sie sind Dozent für Praktische Theologie und Leitungsmitglied des Zentrums für Kirchen-
entwicklung (ZKE) an der Universität Zürich geworden. Warum?
Um Theologie zu betreiben, die der Entwicklung der Kirche und dem Aufbau der Gemeinde dient. 

«Christen werden lernen, mit der säkularen Klimaerwärmung umzugehen.»

Manche Zeitgenossen gehen aber davon aus, dass die Kirche mittelfristig aussterben wird. Was macht es denn in einer solchen Situation so spannend für Sie, über die Zukunft der Kirche zu forschen und zu lehren?
Ach, die klugen Zeitgenossen! Um die Kirche Christi muss man sich keine Sorgen machen. Nicht die Kirche, sondern das von europäischer Kultur geprägte Christentum wird verschwinden. Ungefähr im Tempo der Gletscherschmelze. Christen werden lernen, mit der säkularen Klimaerwärmung umzugehen und das Evangelium in einer postkonfessionellen Gesellschaft zu bezeugen. Wie das geht, wissen wir noch nicht. Und das ist spannend. Wir starten in eine neue Ära!

«Ich sehe Vorteile einer Kirche, in der sich Freie und Willige versammeln.» 

Der 91 Jahre alte deutsche Theologieprofessor Jürgen Moltmann hat kürzlich zur Zukunft der Landeskirchen gesagt: «Ich nehme an, wir werden eine Freiwilligkeitskirche bekommen – und das ist gut so.» Wie sehen Sie das?
Herr Moltmann hat recht. Ich sehe wie er die Vorteile einer Kirche, in der sich die Freien und Willigen versammeln und formale Mitgliedschaft abnimmt. Aber man darf die Verluste nicht kleinreden. Mit dem Mitgliederrückgang gehen auch Begegnungschancen verloren. Vor allem ist die atmosphärische Seite der Abwärtsdynamik nicht zu unterschätzen. Wer nur immer hört, dass das Kirchenschiff sinkt, taucht irgendwann ab. Wenn es den Freiwilligen gut gehen soll, müssen sie Jesus wecken (vgl. Matthäus 8, 23-26)! Ohne Erweckung geht auch eine Freiwilligenkirche unter…

Im selben Interview sagte Moltmann: «In einer multireligiösen Gesellschaft können die Kirchen nicht mehr Volkskirchen sein, sondern sie werden auf ihren eigenen Füssen stehen müssen.» Was bedeutet das? Beziehungsweise: Ist die Zukunft der Kirche bei uns in Europa, so wie im Rest der Welt, rein freikirchlich?
«Volkskirche» meint hier das Kirchenmodell, das mit Steuergeldern einer kirchlich nicht engagierten Mehrheit finanziert wird. Also das, was wir jetzt haben und noch ein ganzes Weilchen so weiter bestehen wird. Natürlich verlieren wir (distanzierte) Mitglieder. Ich denke aber nicht, dass diese Entwicklung zwangsläufig zu einer «Verfreikirchlichung» führen wird. Vergessen Sie nicht, auch eine Kirche, die zehn Prozent der Bevölkerung repräsentiert, ist immer noch ein Gigant! Ich gehe davon aus, dass auch kleinere Grosskirchen dem volkskirchlichen Programm die Treue halten. Sie werden bei ihrem Dienst für die Gesellschaft kürzer treten, weil sie mit weniger Ressourcen auskommen müssen. Wie auch immer: um eine stärkere finanzielle Beteiligung der aktiven Mitglieder kommen wir nicht herum. Es wird teurer. 

«Das sollte doch alles auch in St.Gallen zu finden sein. – Go for it!» 

Gross im Kommen sind seit ein paar Jahren neue Formen von kirchlichem Leben, bekannt unter dem Namen «Fresh Expressions of Church». Die anglikanische Staatskirche ist Vorreiterin dieser Erneuerungsbewegung. Was ist damit gemeint? Funktioniert das auch im Kanton St.Gallen?
Man muss die ganze Breite sehen. FreshX ist nur eine von vielen Formen. Ebenso wichtig sind in England Gemeindegründungen, neue klösterliche Bewegungen oder Initiativen zur Gemeindeerneuerung. Und es sind viele Faktoren, die diese eindrückliche Erneuerung ermöglicht haben: eine solide Missionstheologie, eine beherzte Kirchenleitung und last but not least das Engagement der Basis! Das sollte doch alles auch in St.Gallen zu finden sein. Oder neudeutsch: Go for it!

 

Interview: Marcel Wildi | Foto: Jürg Steinmann  – Kirchenbote SG, Mai 2018

 

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