Gastbeitrag von Matthias Zehnder

Wenn (digitale) Papageien predigen

von Matthias Zehnder
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16.08.2023
Seit Jahren beschäftige ich mich mit KI und ethischen Fragen rund um (scheinbar) denkende Computer. Entsprechend häufig diskutiere ich dieser Tage darüber. Was mir auffällt: Ausgerechnet die Kirche scheint anfällig zu sein für die Texte aus den Automaten. Ein Gastbeitrag von Matthias Zehnder.

Künstliche Intelligenz wird bereits seit den 1950er-Jahren erforscht. Doch in den letzten Monaten hat die Verfügbarkeit neuer KI-Modelle einen regelrechten KI-Hype ausgelöst. Ja: Wir werden geradezu überschwemmt mit Berichten über die KI. Auch über den Einsatz von ChatGPT in der Kirche wird immer wieder berichtet. ChatGPT ist die bekannteste generative KI: Der Dienst kann auf Knopfdruck beliebige Texte erstellen, vom Geschäftsbrief bis zur Beileidsbekundung, von der Filmszene bis zur Liebeserklärung.

Die Kirchen selbst fragen sich: Werden Pfarrpersonen bald durch Computer ersetzt?

Für die Kirche soll die KI Predigten schreiben, beim Beten helfen und Glaubensfragen beantworten. Auf dem 38. Evangelischen Kirchentag in Deutschland hat eine künstliche Intelligenz sogar einen Gottesdienst gefeiert. Die Predigten und Gebete, die ChatGPT produziert, seien gar nicht mal so schlecht, sagen Pfarrpersonen. Die Kirchen selbst fragen sich: Werden Pfarrpersonen bald durch Computer ersetzt?

Wer diese Frage stellt, lässt sich von den wohlgedrechselten Texten der KI blenden. Keine Frage: Die Programme sind eloquent. Sie sind in der Lage, zu jedem beliebigen Thema in kürzester Zeit Sätze abzusondern, die vernünftig klingen. Oder im Fall der Kirche religiös. Doch das ist nur die Textoberfläche. Auch in der Kirche ist der Text nur das Medium. Wörtlich übersetzt heisst das lateinische «medium» im Deutschen «das Mittlere, der Mittler». Das Medium steht «in der Mitte» zwischen einem Sender und einem Empfänger: Es ist der «Mittler» der Kommunikation, die zwischen Sender und Empfänger stattfindet. Mit anderen Worten: Die Sprache ist nur das Werkzeug, mit dessen Hilfe ein Sprecher oder Schreiber sich ausdrückt und handelt.

Ein Papagei kann die Worte noch so lange nachplappern, es findet keine Taufe statt.

Wenn ein Computer mit Hilfe von Algorithmen ein Gebet, eine Predigt oder einen Taufspruch generiert, dann ist das, wie wenn ein Papagei den Taufspruch plappert: Es ist völlig bedeutungslos. Gerade in der Kirche kommt es auf die Handlung an, die der Sprache zugrunde liegt. Wenn eine Pfarrperson am Taufbecken sagt: «Ich taufe Dich im Namen Gottes», dann vollzieht sie eine Handlung. Ein Papagei kann die Worte noch so lange nachplappern, es findet keine Taufe statt. Dasselbe gilt für die KI: Sie kann nicht handeln, weil sie keine Person ist (oder, religiös ausgedrückt: weil sie keine Seele hat).

Denn in der Kommunikation kommt es nie nur auf die Worte an. Entscheidend ist, wer sie zu wem sagt. Bei einem Satz wie «Ich liebe dich» ist das offensichtlich. Wenn eine Maschine diesen Satz generiert, ist er bedeutungslos, weil da niemand spricht. Dasselbe gilt, wenn die Maschine Gebete oder einen Segen generiert.

Deshalb kann gerade die Kirche möglichen weiteren Siegeszügen der KI gelassen entgegensehen. Denn gerade in der Kirche kommt es nicht nur auf die Worte an, sondern vor allem darauf, wer sie spricht. Die Sprache ist nur das Werkzeug (das Mittel, also das Medium) für das Eigentliche. Das setzt allerdings voraus, dass es dieses Eigentliche gibt. Überall da, wo Worte nur verhüllen, dass nichts dahintersteckt, reichen die schönen Worte der KI aus.

 

Matthias Zehnder

Matthias Zehnder, Foto als Bleistiftzeichnung. Kurze Haare, dick umrandete Brille, leichtes Lächeln, Hemd und Jacket mit kleinem Pin im Knopfloch

 

 

Matthias Zehnder ist Medienwissenschaftler und Publizist mit Schwerpunktgebiet Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Er hat zahlreiche Bücher geschrieben, publiziert und hält Vorträge und Seminare rund um Computer, Geist und Ethik.

www.matthiaszehnder.ch

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