Wenn Menschen zur Ware werden

von Silvana Pasquier
min
01.09.2020
Sie arbeiten 16 Stunden am Tag in stickigen Hallen, putzen und kochen in Haushalten für Hungerlöhne oder verkaufen ihren Körper in Bordellen. Die Opfer des Menschenhandels. Ein Blick auf die Schattenseite der Globalisierung.

Die Zahlen sind erschreckend: Gemäss der Internationalen Arbeitsorganisation ILO gibt es weltweit rund 25 Millionen Opfer von Zwangsarbeit, darunter 4,8 Millionen, die sexuell ausgebeutet werden. Das Geschäft mit der Ware Mensch ist lukrativ: Die ILO schätzt, den Umsatz aus diesem Bereich auf 150 Milliarden US-Dollar. Auch in der Schweiz floriert das Geschäft mit Menschen, die sich prostituieren, auf Baustellen günstig anpacken, als Sans-Papiers Wohnungen reinigen und als Haushaltshilfen arbeiten oder auf Feldern die Ernte einbringen. Aus den Abhängigkeiten können sie sich nur schwer befreien.

Im Schatten der Globalisierung

Ist das nicht eine Form neuer Sklaverei? Ja, bestätigt Mathias Waldmeyer, bei Mission 21 Programmverantwortlicher Asien und engagiert gegen die Ausbeutung und Misshandlung von Migrantinnen und Migranten. Das Missionswerk mit Sitz in Basel kämpft wie viele kirchliche Hilfswerke gegen die Schattenseiten der weltweiten Migration. 

Mission 21 ist in den ärmsten Regionen Indonesiens, im westlichen Teil der Insel Timor oder auf Sumba aktiv. Zwanzig Prozent der jungen Männer und dreissig Prozent der jungen Frauen dort haben keine Arbeit und damit keine Perspektive. Agenten werben die Einheimischen an. Viele glauben den Versprechungen und machen sich auf, zunächst innerhalb Indonesiens und dann ins Ausland, nach Hongkong, Singapur, Malaysia, Taiwan oder in den arabischen Raum. 

Dort zeigt sich, dass die Versprechungen oft falsch sind. Ihnen wird der Pass abgenommen, sie hausen in prekären Unterkünften, arbeiten rund um die Uhr in einer Industrie, für die Sicherheitsstandards und Arbeitsgesetze Papiertiger sind. Sie landen in der Prostitution oder arbeiten als Hausangestellte, die Gefahr laufen, geschlagen und vergewaltigt zu werden. «Die Arbeitsmigrantinnen und -migranten fühlen sich gefangen in einem ausbeuterischen System», sagt Mathias Waldmeyer. Ohne finanzielle Hoffnung oder weil sie ein uneheliches Kind erwarten wagen sie sich nicht nach Hause. 

Mit Rechtsberatung, «Schutzorten» und Projekten unterstützt Mission 21 die Betroffenen in Malaysia, und Hongkong. In den Zentren erhalten sie juristische Beratung, Unterschlupf, Schutz und Hilfe. Für Waldmeyer ist die Arbeitsmigration eine der grossen Herausforderungen der Globalisierung. «Da müssen wir menschenwürdige Formen finden, wachsamer werden und danach fragen, unter welchen Umständen unsere Alltagsprodukte produziert werden.»

Der Druck müsste von aussen kommen, fordert Mathias Waldmeyer, die Hausangestellten verfügten über keine Lobby. «Die Staaten haben kein Interesse, die Situation zu ändern.» Auch nicht die Heimatländer der Migrantinnen. In Indonesien etwa bilden die Gelder, die Auswanderer aus dem Ausland ihrer Familie schicken, einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaft. «Daran wird sich kaum etwas ändern», sagt Waldmeyer.

Kampf an vielen Fronten

Die Christliche Ostmission mit Sitz in Worb engagiert sich mit ihren Partnern in Moldawien, Mazedonien, Nepal, Indien und Kambodscha gegen den Handel mit Frauen und Kindern. Das Hilfswerk unterstützt Kampagnen, die Frauen vor den Schleppern und Zuhältern warnen. Die Partner der Ostmission sind dort, wo Mädchen und Frauen gefährdet sind. Sie kümmern sich um Heimkinder und um Kinder, die im Rotlichtviertel oder in -Dörfern aufwachsen, die Schlepper aufsuchen. «Wir wollen, dass den Frauen und Mädchen die unsäglichen Qualen der Ausbeutung und Gewalt erspart bleiben», sagt Beatrice Käufeler, Projektleiterin Menschenhandel bei der Ostmission.

Daneben eröffnet die Ostmission eine Opferhilfestelle, unterstützt Schutzhäuser und betreut Frauen, die in Bars und Nachtclubs anschaffen. Durch die niederschwelligen Angebote erhalten die Frauen die psychologische, medizinische und juristische Hilfe und können später eine Schul- oder Berufsausbildung absolvieren. In Nepal stehen die Partner der Ostmission an der Grenze und fangen Mädchen ab, die Schlepper ins Nachbarland schleusen. «Es ist meist die existienzielle Not, die Frauen in die Prostitution treibt», sagt Käufeler. Meist stammten diese aus armen Verhältnissen und verschuldeten Familien, es fehlten ihnen Angehörige, die sie begleiten, und eine Perspektive für ihre Zukunft. Manchmal verkauften Familien ihre Kinder, um ihre Existenz zu sichern. Darum hilft die Ostmission armen Familien Betriebe aufzubauen. «Wir müssen die existenzielle Not der Familien angehen», sagt Beatrice Käufeler.

«In der Not muss man handeln»

Moldawien beispielsweise erlebt eine grosse Migration. Viele Männer und Frauen finden im Ausland eine Stelle. «Das ist eine reale Chance, ihrer Not zu entkommen. Menschenhändler nützen dies aus».  Käufeler erinnert daran, wie die wirtschaftliche Lage und Armut im 19. Jahrhundert viele Schweizer zum Auswandern zwangen.

Käufeler hofft auf mehr Engagement der Schweiz in der Bekämpfung des Menschenhandels. Zwar habe der Bund mit zwei nationalen Aktionsplänen Massnahmen gegen die Verbrechen ergriffen, doch das sei bei weitem nicht genug. Das Strafmass für Menschenhandel sei viel zu gering. Es gäbe kaum Verurteilungen und wenn, kämen die Händler meist mit einer bedingten Strafe davon, so Käufeler. Viele Frauen hätten Angst auszusagen, auch weil sie um die Familien in ihrer Heimat fürchten. «Das Risiko, ver-
urteilt zu werden, ist gering, der Profit hoch», erklärt Beatrice Käufeler. Deshalb müssten die Strafen verschärft werden. 

Tilmann Zuber, 24.9.2020, Kirchenbote

 

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