Wer soziale Medien nutzt, gehört dazu

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23.09.2019
Digitalisierung gibt vielen Menschen das Gefühl, abgehängt zu sein. Sie stellt die Kirche vor neue Aufgaben, muss Menschen helfen, am digitalen Leben teilzunehmen.

Welche Chancen ergeben sich für die Kirchen durch die Digitalisierung? Bei dieser Frage denken viele Leute an Mission in einem sehr direkten Verständnis: dass es nämlich neue Kommunikationswege gibt, um für sich selbst zu werben. Ich finde das schwierig. Noch immer ist bei dem Stichwort Mission in der Öffentlichkeit unklar, ob es wirklich um gehaltvolle christliche Kommunikation geht, die Menschen in ihrem Leben existentiell etwas bringt, oder ob man einfach möchte, dass mehr Menschen von den Kirchen erreicht werden. Mit der Internet-Kommunikation wäre dann auch die Chance verbunden, dass kirchliche Angebote wieder ganz oben in der Liste der grossen Suchmaschinen zu finden wären. Ich will nicht sagen, dass der Platz in der Suchmaschine unwichtig ist. Die Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit arbeiten hier bereits auf sehr gutem Niveau. Ein Blick in die anglikanische Kirche zeigt, wie breit das Angebot einer Kirche sich hier entwickeln kann. Aber auch die schweizerischen und die deutschen Kirchen tun bereits viel.

«Können Sie per Smartphone mitteilen, dass Sie beim Restaurantbesuch nach dem Gottesdienst dabei sind?»

Angst vor Digitalisierung 
Eine andere Sache ist mir aber viel wichtiger: Viele Leute, die mit der Kirche verbunden sind, gerade auch ältere Menschen, stehen Digitalisierungsprozessen kritisch gegenüber. Die Präsenz der Digitalisierung in allen Lebenswelten gibt ihnen das Gefühl, abgehängt zu werden, weil sie nicht selbst aktiv teilnehmen können. Dieses Gefühl gilt es ernst zu nehmen. Hinter ihm steht die Erfahrung, von vielen Lebensmöglichkeiten ausgeschlossen zu sein: Können Sie per Smartphone mitteilen, dass Sie beim Restaurantbesuch nach dem Gottesdienst dabei sein wollen? Kriegen Sie es hin, sich eine Pizza nach Hause zu bestellen? Können Sie der Enkelin ein Foto senden oder dem Bekannten eine Textbotschaft mit einem Segenswunsch? Ist es Ihnen möglich, einen Podcast mit einem Zuspruch am Morgen aufzurufen? Oder sich ein erhebendes Lied wie «Amazing Grace» anzuhören, vielleicht dazu einen guten Verstärker mit Ihrem Handy zu verbinden, damit das Ganze ein akustischer Genuss wird? All das ist für viele Menschen heute selbstverständlicher Bestandteil ihrer Kommunikationskultur.

«Man spürt, dass man dabei ist, dass die eigene Meinung gehört und gesehen wird.»

Die Kirche hilft 
Ich meine, dass Kirchgemeinden Angebote für alle Menschen in ihrem Ort machen sollten, die Hilfe brauchen, um digital zu kommunizieren. Heute sind so gut wie alle Lebensbereiche digital vernetzt. Wer nicht da-ran teilnimmt, wird marginalisiert. Der Ausschluss von digitaler Kommunikation ist eine strukturell angelegte Ungerechtigkeit. Das spüren viele Menschen. Aber sie können selbst wenig dagegen tun. Dies führt manchmal sogar dazu, dass man sich etwas schämt, weil es so aussieht, als ob man nicht intelligent genug ist, die Technik zu beherrschen. Und andersherum: Wer in sozialen Medien kommuniziert, spürt etwas Motivierendes: das Gefühl, selbst etwas bewirken zu können, zu zeigen, dass man dabei ist, dass die eigene Meinung gehört und gesehen wird.

 

Es bewegt Menschen, an einem Netz von Menschen teilzuhaben, Feedback zu erhalten und geben zu können. So ist man der alltäglichen Einsamkeit nicht nur ausgeliefert. Die Kirchen haben zahlreiche Standorte im Nahbereich vieler Menschen. Sie können auf einfache Weise Kommunikationszentren aufbauen. Da kann das Leben in digitalen Welten ausprobiert und mit ihm experimentiert werden; hier erhält man zum Beispiel einmal die Woche kostenlos Assistenz, wenn man nicht weiter weiss mit dem eigenen Handy. Dabei muss es nicht allein um technische Fragen gehen. Sondern auch um gesellschaftliche Diskussionen, die eine gerechte und für möglichst viele Menschen lebensdienliche Digitalisierung vordenken. Beides lässt sich ohne grossen Aufwand umsetzen. Es gibt schon viele Beispiele hierfür.

 

Digitale Gemeinschaft 

Entsteht nun eine «digitale Kirche»? Eine kirchliche Gemeinschaft, die rein digital organisiert ist, halte ich für einen extremen Ausnahmefall. Meistens entstehen digitale Kommunikationen in einem kombinierten Zusammenhang: Es gibt ein Treffen vor Ort – digital kommuniziert wird davor, danach oder sogar währenddessen. Das intensiviert das Erleben des kirchlichen Miteinanders. Digitale Kommunikation erlaubt es, dass mehr Menschen zusammenkommen, wann und wo sie möchten. Es geht also nicht darum, digitale Gemeinschaften zu organisieren, sondern kirchliche Kommunikationskulturen vielfältiger, kurzweiliger und nachhaltiger zu gestalten. Das lässt sich schon machen und wird bereits vielerorts getan. 

 

Hoffnung statt Zukunftsangst

Schliesslich stellt sich die Frage, ob Internet und soziale Medien das Glaubensleben verändern können. Die Antwort ist ein klares Ja. Wir sehen das ausserhalb kirchlicher Internetseiten: Wenn Leute über Themen wie Sterbehilfe, Klimawandel oder digitale Bildung im Internet diskutieren und sich dabei ausdrücklich auf christliche Werte beziehen. Es ist einfacher geworden, Leserbriefe mit der eigenen Meinung abzusenden. Das ist auch ein Ausdruck ihres Glaubens.

Die Menschen haben Zukunftsangst, obwohl es ihnen materiell gut geht.

Neben solchen klassischen Formaten der medialen Kommunikation gibt es aber auch viele interessante Apps, etwa für religiöse Musik. Es wird viel experimentiert: Wir sehen jetzt schon im Bereich der sogenannten «Tangible User Interfaces», dass die Digitalisierung uns noch viel näherkommen wird, ganz nah: Es geht um digitale Kommunikation, deren Nutzungen immer einfacher, intuitiver, auch unsichtbarer und sozusagen unmerklicher werden. Sie werden zu unserer zweiten Haut. Das klingt nicht nur gut. Denn die Forschung muss das Ziel haben, für immer mehr Menschen ein gutes und friedliches Leben auf unserem Planeten zu ermöglichen. Nicht zuletzt ein Leben, das unserer Erde es erlaubt, Atem zu holen und nicht mehr ächzen und stöhnen zu müssen unter ihrer Verschmutzung. Der Wissenschaftsjournalist Rangar Yogishwar hat in seinem anregenden Buch «Nächste Ausfahrt Zukunft» betont, wie viele Menschen Zukunftsangst haben, obwohl es ihnen materiell gut geht. Das hänge auch mit schnellen technologischen Veränderungen zusammen: «Allen Zukunftsängsten und allem Alarmismus zum Trotz ist es an der Zeit, dass wir einen neuen und frischen Blick auf unsere Welt im Wandel werfen.» Dieser frische Blick fördert die Kreativität für eine gute Zukunft für alle Menschen. Sie ist uns zugesagt.

 

Text: Ilona Nord | Bilder: Adi Lippuner / zVg / pixabay  – Kirchenbote SG, Oktober 2019

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