Wie hast du's mit Politik in der Predigt?

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21.09.2022
Drei Pfarrpersonen beantworten die Gretchenfrage zur Politik in der Kirche: Politische Bezüge in der Predigt, ja oder nein?

Jesus als Gegenkönig

«Im Herbst 1989 lag die DDR in den letzten Atemzügen. Die Kirchen waren für viele Menschen der einzige Zufluchtsort, um dort relativ frei ihren Unmut zu äussern oder Widerstand gegen die Diktatur zu organisieren. Den Demonstrationen gingen ja Friedensgebete voraus, in denen viel Dampf abgelassen und Frieden eingeübt werden konnte. Für mich ein Grund, warum man es friedliche Revolution nannte. Als atheistischer Teenager hat diese Rolle von Kirche bei mir Eindruck gemacht. Es hat mich so geprägt, dass ich Pfarrer wurde.

 

Welcher Arzt bekämpft nur die Symptome, aber nicht die Ursachen?

 

Ich bin der Meinung, dass Kirche unglaubwürdig  – heuchlerisch – ist, wenn sie nur fromme Sprüche macht und hier und dort mal zu Spenden für die Schwachen aufruft, aber unbequeme Ungerechtigkeiten im System nicht ansprechen darf. Welcher Arzt bekämpft nur Symptome einer Erkrankung, aber nicht die Ursachen? Eine Trostpflasterkirche wäre nicht meine Kirche.

Die Propheten der Bibel haben die Könige kritisiert und laut Gottes Unmut auf Marktplätzen kundgetan. Und letztlich ist Jesus historisch wohl von den Römern gekreuzigt worden, weil er als Gegenkönig eines unterdrückten Volkes gesehen wurde und sich so verstand. Folglich sind meine Predigten politisch, wenn es um Fragen von Gerechtigkeit geht. Kirche hat für mich ein prophetisches Wächteramt in der Gesellschaft! Allerdings, auch wenn ich selber offen linksgrün bin, ist die Kanzel kein Ort für Parteipolitik. Demokratie heisst Respekt vor Andersdenkenden. Schliesslich hat Gott sie alle geschaffen.»

Jörn Schlede, Pfarrer in Weesen


Liturgie ist auch politisch

«Als Predigerin bin ich verpflichtet, dem Bibeltext gerecht zu werden. Die Bibel ruft auf zu Feindesliebe, zu sorgfältigem Umgang mit der Schöpfung, zu sozialer Gerechtigkeit. Sie ist ein politisches Buch. Doch es gibt Bibelstellen, die sich nicht eins zu eins in unsere Zeit übertragen lassen. Eine sinngemässe Auslegung in unsere Zeit ist notwendig.

Gleichzeitig fühle ich mich verpflichtet, die Mitfeiernden mit ihren vielfältigen Bedürfnissen ernst zu nehmen. Sie sind auf der Suche nach Gemeinschaft, nach Trost, nach Orientierung oder nach Inputs zum Nachdenken. Nicht jede Predigt ist politisch. Doch ich mute den Zuhörenden immer wieder zu, sich mit gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Nicht in Form von Empfehlungen von Parteiprogrammen oder gar Abstimmungsparolen. Viel mehr als Ermutigung, die aktuellen Fragen im Licht der Grundwerte der Bibel zu bedenken und entsprechend zu reden und zu handeln.

Das Kirchenjahr gibt uns Raum für verschiedene Schwerpunkte: In der Fastenzeit laden die Hilfswerke ein, über die gerechte Verteilung der Ressourcen nachzudenken und Zeichen der Solidarität zu setzen. In der Schöpfungszeit erhält die Bedeutsamkeit ökologischer Themen Raum. Der Bettag erinnert an die Verantwortung, welche wir als einzelne Bürgerinnen und Bewohner wie auch als Kirchgemeinde innerhalb der Gesellschaft tragen.

Es gibt nebst der Predigt auch liturgische Elemente, die eine politische Dimension beinhalten können: die Fürbitten als Verbindung mit anderen Menschen und Völkern. Die Kollekte als handfestes Zeichen der Solidarität. Der Segen als Zuspruch von Frieden für die Mitfeiernden und auch für die ganze Welt.»

Käthi Meier-Schwob, Pfarrerin in Goldach


Wunsch nach Gerechtigkeit

«Eindeutig und explizit politisch äussere ich mich in meinen Predigten nur selten – etwa, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht und um die Verantwortung, die wir den von dort geflüchteten Menschen gegenüber haben. Viel öfter erwähne ich politische Themen und Probleme, ohne dabei direkt Stellung zu beziehen. Meine Hoffnung ist, dass die Predigt so zu eigenem Nachdenken darüber anregt, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. So weise ich manchmal auf Lebenssituationen hin, die man im Alltag vergisst, weil sie unsichtbar sind – etwa auf die Situation abgewiesener Asylsuchender.

Wenn öffentliche Debatten aus dem Ruder zu laufen drohen, spreche ich über gegenseitigen Respekt und politische Besonnenheit. Ganz allgemein sehe ich die Predigt als Ort der Erinnerung an das, worum es in der Politik eigentlich gehen sollte: Darum, die Gesellschaft gerecht zu gestalten, auf dass jeder Mensch in Freiheit und Frieden leben kann.

In der Predigt an diese Dinge und Situationen zu erinnern, mag den einen bereits zu politisch sein, den anderen hingegen zu wenig engagiert und eindeutig. Persönlich bin ich jedenfalls überzeugt: Es gehört zu den Aufgaben der Kirche, die auf das Reich Gottes hofft, den alten biblischen Wunsch nach einer gerechteren Welt in jeder Generation neu am Leben zu halten. Dazu kann die Predigt auch mal politisch werden.»

Michael Pfenninger, Pfarrer in Sargans

Bilder: CanStockPhoto / zVg – Kirchenbote SG, Oktober 2022

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