Wie Hauskreise, aber jährlich neu zusammengewürfelt
Herr Kurz, wie sind Sie auf die Idee gekommen, in Rohrbach ein neues Hauskreismodell einzuführen?
Alex Kurz: In meiner Dissertation über das Kirche-Sein in der Postmoderne untersuchte ich unter anderem, wieso sich die Leute nur noch zeitlich limitiert binden wollen. Wir haben einen Überfluss an Angeboten. Unsere Zeit aber ist kostbar. Bindet man sich langfristig, so läuft man Gefahr, das noch bessere Angebot von morgen zu verpassen. Das führt dazu, dass wir uns nur ungern binden. In der Kirche wird das oft bedauert. Ich hingegen habe mich gefragt: Wie können wir dem in unserer Hauskreisarbeit Rechnung tragen?
Deshalb haben Sie die Navigationsgruppen ins Leben gerufen. Sie sind befristet und werden jährlich neu gemischt. Ein Erfolg?
Ja – obschon ich mir ein noch grösseres Wachstum erhofft hätte. Jährlich machen etwa 30 bis 60 Leute mit. Es sind aber nicht immer dieselben.
«Ich bemerke eine theologische Wachheit: Da sind Leute, die sich nicht so schnell ein X für ein U vormachen lassen.»
Manche sind jedes Jahr dabei, andere nehmen sich zwei, drei Jahre Auszeit, um später wieder einzusteigen. Diese Durchlässigkeit wird in Hauskreisen oft gewünscht: dass neue Leute dazukommen können.
Welchen Einfluss haben die Navigationsgruppen auf die Gemeinde?
Ich bemerke eine theologische Wachheit: Da sind Leute, die sich nicht so schnell ein X für ein U vormachen lassen, weil sie zusammen Bibeltexte gelesen haben. Auch der Zusammenhalt hat zugenommen. Die Gemeinde besteht aus fünf Dörfern. Früher kannte man sich über die Dörfer hinweg kaum. Das hat sich geändert. Wenn man ein Jahr lang zusammen die Bibel gelesen hat, gibt das einen Kitt, den man spürt.
Bevor Sie mit den Navigationsgruppen begonnen haben, gab es in der Gemeinde bereits Hauskreise. Wie haben sie reagiert?
Wir haben den Hauskreisen bewusst offen gelassen, ob sie weitermachen wollen wie bisher oder ob sie bei den Navigationsgruppen mitmachen wollen. Hauskreise kann man nicht von aussen verändern. Die Hauskreise haben dann noch etwa zwei Jahre eigenständig weitergemacht. Dann haben sie sich aufgelöst und die Leute sind in die Navigationsgruppen gekommen.
Der Ablauf, die Liturgie der Abende in den Navigationsgruppen, ist durch ein Skript vorgegeben. Weshalb?
Ich habe gemerkt, dass in Hauskreisen viel am Leiter oder der Leiterin hängt. Ich wollte aber, dass alle in einer Navigationsgruppe leiten können. Deshalb habe ich eine kleine Liturgie ausgearbeitet, die das ermöglicht.
Die Liturgie enthält ein gemeinsam gesprochenes Glaubensbekenntnis. Welche Idee steckt dahinter?
Manchmal hat man in der Gruppe Hemmungen, Bibeltexte kritisch anzuschauen, weil einem dann der Glaube abgesprochen werden könnte. Mit dem gemeinsam gelesenen Glaubensbekenntnis wächst die Freiheit, zu sagen: Ich habe Mühe mit diesem Text, ich komme da nicht nach, ich bin nicht einverstanden. Denn vorher hat man das Bekenntnis voreinander abgelegt. Man weiss also nun voneinander, dass man glaubt, nach bestem Wissen und Gewissen. Dann darf man die Texte auch kritisch anschauen.
Sind Navigationsgruppen nur etwas für Fromme?
Ich denke nicht in dieser Kategorie, sondern sehe das aus der Sicht des Marketings: Navigationsgruppen richten sich hauptsächlich an die «Stammkundschaft» der Kirchgemeinde, sprechen aber auch an Suchende und Fragende an. Kirchlich Distanzierte interessieren sich kaum dafür. Es haben aber viele theologische Ansichten Platz.
Interview: Stefan Degen | Foto: zVg – Kirchenbote SG, Februar 2022
Wie Hauskreise, aber jährlich neu zusammengewürfelt