Wie heissen sie, die im Meer ertrinken?
Die Liste wird länger und länger. Und immer tragischer. Offiziell sind es über 60'000 Menschen, die seit 1993 auf der Flucht nach Europa gestorben sind. Was sind das für Menschen? Wie heissen sie? Unter welchen Umständen mussten sie ihr Leben lassen? Diese Fragen greift die 24-Stundenaktion «Beim Namen nennen» auf.
Namen werden vorgelesen
Engagierte Gläubige aus der Stadt St.Gallen wollen verhindern, dass die reichen Gesellschaften ihr Mitgefühl für diese Tragödien verlieren, und lesen am kommenden Wochenende, von 12 Uhr samstags bis 12 Uhr sonntags, ihre Namen und ihre Schicksale vor und schreiben ihre Namen und Todesursachen auf weisse Stoffstreifen. Die Aktion findet heuer zum vierten Mal in St.Gallen statt. Da die Liste der Verstorbenen immer länger wird, wurde die Aktion ausgeweitet: Seit dem vergangenen Jahr werden die Namen in verschiedenen Kirchen und Moscheen und Gemeinden im Kanton gelesen und nicht nur zentral an der Aktion in der St.Laurenzen-Kirche. «2023 war ein besonders betrübliches Jahr», sagt Projektleiter Chika Uzor von der Katholischen Kirche. «Über 8000 Flüchtlingen verstarben an den Aussengrenzen Europas; sie sind im Meer, im Wald oder auf dem Feld tot aufgefunden worden und wurden offiziell gemeldet.»
St.Gallen ist eine Woche voraus
Über «United Against Refugee Deaths» gelangen die Namen der Verstorbenen an die Organisatoren von «Beim Namen nennen». Die Listen werden den Glaubensgemeinschaften weitergeleitet, wo Freiwillige die Namen auf Zettelchen schreiben. Danach werden die Namen in Gottesdiensten gelesen und die Zettelchen zentral gesammelt. An der 24-Stunden-Aktion werden sämtliche 60'000 Namensstreifen an Leinen rund um die St.Laurenzen-Kirche gehängt.
Die Aktion findet in der Schweiz in Hinblick auf den Weltflüchtlingstag am 15. Und 16. Juni statt. Die Stadt St.Gallen allerdings feiert an diesem Wochenende ihren Begegnungstag, weshalb «Beim Namen nennen» um eine Woche vorverschoben wurde. Die Aktion ist 2019 in Bern entstanden. Unterdessen findet sie in zehn Schweizer und sieben Deutschen Städten statt.
Stadtrat Gabathuler und ein Manifest
Damit die Aktion würdevoll abgehalten werden kann, braucht es Dutzende Helferinnen und Helfer. Am Freitag zum Beispiel nageln Freiwillige die Aufhängevorrichtungen für die Leinen zusammen und stellen diese rund um die St.Laurenzen auf. In der Kirche werden die Namen gelesen – dabei wird laut Uzor Chika «zeitlich rückwärts» gelesen, die aktuellsten Fälle kommen zuerst. Zu den Freiwilligen gesellen sich auch immer wieder Stadträte. Zuletzt las auch Stadtpräsidentin Maria Pappa. Dieses Jahr hat sich Stadtrat Matthias Gabathuler als Helfer eingetragen. Er wird am Sonntag in einer der letzten Schichten Namen vorlesen.
Zur diesjährigen Aktion haben die Organisatoren ein Manifest für die Wahrung von Menschenrechten auch an den Grenzen Europas verfasst. Dieses kann an der Aktion selber, am Begegnungstag oder online unterzeichnet werden. Das Manifest wird noch in diesem Sommer dem Bundesrat übergeben.
Wie heissen sie, die im Meer ertrinken?