Wie viel Konzernverantwortung darf es sein?

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25.09.2020
Im November stimmt das Schweizervolk über die Konzernverantwortungsinitiative KVI ab. Viele Kirchgemeinden, Kantonalkirchen und Hilfswerke machen sich für ein Ja stark. Sind das naive Gutmenschen, die von Ökonomie keine Ahnung haben? Mitnichten.

Die Zahlen lassen aufhorchen: Mehr als 600 Kirchgemeinden und Pfarreien engagieren sich im Komitee «Kirchen für Konzernverantwortung». Sekundiert von der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, zahlreichen Kantonalkirchen, katholischen Körperschaften und Freikirchen. Was ist mit der Kirche los, dass sich ihre Vertreter so vehement für diesen Vorstoss einsetzen?

Die Initiative gründet auf zwei zentralen Anliegen der biblischen Botschaft und des christlichen Glaubens: Auf der Nächstenliebe und der Bewahrung der Schöpfung. «Der Gott der Bibel hat eine besondere Beziehung zu den Armen. Er ergreift Partei für jene, die ausgebeutet und unterdrückt werden», erklärt Theologieprofessor Pierre Bühler und zitiert aus den Sprüchen. «Sprich für die Armen und Schwachen, nimm sie in Schutz und verhelfe ihnen zu ihrem Recht.» (Spr. 31.9)

Mehr als dreitausend Mal spreche die Bibel von Gerechtigkeit, so Pierre Bühler weiter. Für ihn und viele andere, welche die KVI unterstützen, gehört dies deshalb zum Auftrag der Kirchen.

Von Ökonomie keine Ahnung?
Die Kanzel ist das eine, der Börsenkurs das andere: Gegner der Initiative argumentieren, dass die KVI gut gemeint, aber nicht gut gemacht sei. Die Kirchen hätten von Ökonomie keine Ahnung. Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, wie sehr gerade die Reformierten zum Erfolg der Schweizer Wirtschaft beigetragen haben.

Huldrych Zwingli verbot in Zürich das Söldnerwesen und trug damit massgeblich zum Wohlstand der Limmatstadt bei. Statt auf europäischen Schlachtfeldern zu verbluten, arbeiteten die jungen Männer in den Betrieben der Zünfte.

Später brachte die grosszügige Aufnahme der hugenottischen Flüchtlinge wichtige Impulse wie die Uhren und Seidenindustrie. Und der Genfer Reformator Jean Calvin bereitete mit der Aufhebung des Zinsverbots und seinen Vorstellungen vom christlichen Leben den Boden für den Kapitalismus vor. In den calvinistischen Gebieten wie Genf, den Niederlanden und den USA blühte der Handel.

Kein Wohlstand ohne Solidarität
Für Calvin war jedoch klar, dass der Wohlstand mit der Solidarität mit den Ärmsten einhergeht. Die KVI fordert, dass Schweizer Unternehmen und ihre Tochterfirmen für die Einhaltung der Menschenrechte und des Umweltschutzes verantwortlich und haftbar sind – auch im Ausland. Damit kommt die KVI der Forderung nach fairem nachhaltigem Wirtschaften nach, die heute in die Geschäftspolitik vieler Unternehmen einfliesst.

Kein Konzern kann sich einen Imageschaden wegen eines Umweltskandals leisten, zu gross sind die Folgekosten – und der Verlust für die Aktionäre. Wer sündigt, verliert das Vertrauen der Anleger und büsst an der Börse. Denn jedes Geschäft basiert auf Vertrauen. Und ohne die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz leidet das Vertrauen.

Ethisches Handeln hat heute einen Wert, der sich an der Börse auszahlt. Vielleicht wird man in fünfzig Jahren feststellen, dass die Konzernverantwortungsinitiative ein weiterer wichtiger Schritt für den Erfolg der Schweizer Wirtschaft war – auch im Ausland.

Tilmann Zuber, Chefredaktor Kirchenbote, kirchenbote-online

Lesen Sie die Interviews mit dem Unternehmer Dietrich Pestalozzi, der die KVI befürwortet, und mit Ständerat Ruedi Noser, der sie ablehnt.

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