Der heilige Martin

Zur Verteidigung des Mitgefühls

von Anna Schindler
min
01.02.2025
Der heilige Martin zierte bis in 1970er Jahre die 100 Franken-Note der Schweiz. Martin steht als Symbol für Mitgefühl und Gerechtigkeit.

Teilen in der Legende

Der heilige Martinus teilte seinen Soldatenmantel mit einem frierenden Bettler. Er hätte auch ein paar Münzen hinwerfen können. Aber das hätte nicht für einen Mantel gereicht. Er gab dem Frierenden das, was er wirklich brauchte. Er nutzte sein Schwert nicht mehr zum Töten, er teilte damit seinen Mantel. Martin ging noch weiter. Er verliess die Armee und bekannte sich zum Christentum, so die Legende. Als Kind hat mich die Geschichte beeindruckt. Martin opfert sich weder auf noch übersieht er das Leiden. Sein unmittelbares Handeln ist aber uneigennützig. Er bringt etwas mit, das entscheidend ist: Mitgefühl. Die Legende erzählt, dass es nicht bei dieser spontanen Handlung bleibt. Als er später ein Kloster gründete und Bischof von Tours wurde, soll er in einer einfachen Hütte gelebt und sich für Kranke und Arme eingesetzt haben. Damit machte er sich nicht nur Freunde, gerade in der Kirche. Auf Macht und Prunk zu verzichten und den Reichtum zu teilen, war auch damals nicht selbstverständlich.

Kirche kann und darf nicht neutral bleiben.

 

Teilen in der heutigen Zeit

So wie mich als Kind Martin mit dem roten Mantel beeindruckte, so beeindruckt mich heute Marlene Engelhorn. Marlene Engelhorn hat viel Geld geerbt. Mehrere Millionen. Sie hat entschieden, 90% ihres Besitzes zu verschenken. Das ist aussergewöhnlich. Ein sogenannter Bürgerrat aus diversen Menschen wurde eingesetzt, das Geld an rund 80 Vereine und Organisationen zu verteilen. Eines der Ziele war es, Benachteiligten mehr Chancen zu geben. Sie sagt, dass sie nichts dazu beigetragen hat, soviel Geld zu erben. Sie ist damit nicht die Einzige: Es gibt den eingetragenen Verein taxmenow. Dort fordern über sechzig Vermögende, dass der Staat sie stärker besteuern soll. Sie prangern die Steuerprivilegien, die gesellschaftlichen Vorteile und die Machtposition der Reichen an. Sie empfinden das als ungerecht. Sie wollen finanzielle Gerechtigkeit. Und sie wollen ihr Geld teilen. Teilen, nicht spenden. Das ist ein grosser Unterschied. Mit Blick in die Welt ist klar: Wer Geld hat, besitzt Macht. Und wer Macht hat, trifft wiederum Menschen, die viel Geld haben. Und bekommt noch mehr Macht und noch mehr Geld. Dabei haben die Wenigsten der Superreichen das Geld selbst erwirtschaftet. Sie haben es geerbt. Niemand kann etwas dafür, ob er arm oder reich zur Welt kommt. Aber die Chance auf ein gutes Leben ist für Reiche deutlich besser. Umso wichtiger ist es, dabei sein Gewissen nicht zu verlieren. Das Privileg nicht als Recht wahrzunehmen, sondern als Verantwortung.

 

Mitgefühl

Die Bischöfin von Washington, Mariann Edgar Budde, hat im Januar den Gottesdienst für den neuen vereidigten Präsidenten gehalten. Sie appellierte an sein Mitgefühl für Minderheiten. Sie führt ihm vor Augen, wieviel Menschen vor seiner Macht Angst haben. Mitgefühl im Namen Gottes. Für die Kirche ist es eine Herausforderung, wo und wie sie Stellung bezieht. Sie kann und darf nicht neutral bleiben. Nicht in der heutigen Zeit. Es ist wichtig, gerade als Kirche, für Mitgefühl und unmittelbares Teilen hinzustehen. Ohne berechnendes Kalkül, ohne den Anspruch für das Gegebene eine Gegenleistung zu erwarten. Mitgefühl ist Voraussetzung zum Teilen und wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Verteidigen wir es.

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