Warum gerade jetzt bei der Kirche arbeiten?

Göttliche Berufung: Kirchendienst im Zeitalter der Veränderung

von Holger Gießelmann, Pfarrer für Nachwuchsgewinnung Evangelische Kirche Westfalen
min
01.02.2024
«Du machst das, Holger», sagte Andreas und klopfte mir auf die Schulter. Dabei lächelte er mich an. Zur Einordnung: Ich, Holger Gießelmann, bin Pfarrer für Nachwuchsgewinnung bei der Evangelischen Kirche in Westfalen (EKvW).

Damals war ich frisch auf diese Stelle gewählt worden. Andreas ist ein langjähriger Kollege aus einem westfälischen Kirchenkreis, mit dem ich ein paar Jahre kirchlicher Transformationsbemühungen vor Ort erlebt hatte. Andreas wusste, genau wie ich, dass ich (allein) überhaupt nichts mache an der Nachwuchsmisere unserer Landeskirche. Sein Schulterklopfen war blanke Ironie.

 

Kurzer Rückblick

Vor fast 25 Jahren hatte die westfälische Kirche ihre Personalpolitik radikal verändert. Damals wurde der theologische Nachwuchs radikal um die Hälfte der Bewerber:innen reduziert. Dadurch hat sich in den Köpfen festgesetzt: «arbeiten bei Kirche – das wird schwierig». Die in der Folge anstehenden Vereinigungsprozesse in Kirchengemeinden, die Mittelkürzungen und Strukturveränderungen, die Andreas und ich im Nachgang erlebt hatten, haben diesen Effekt verstärkt. Sich für einen kirchlichen Beruf zu entscheiden, das hatte damals keine gute Perspektive. Darum steht heute den vielen Kolleg:innen der Baby-Boomer Generation eine unverhältnismäßig kleine Menge an nachrückenden jüngeren und kritischen Menschen gegenüber.

Andreas ist nicht der Einzige, der die Augenbrauen beim Thema «Nachwuchsgewinnung für kirchliche Berufe» hochzieht. Es gibt Skeptiker, die der aktuellen Transformationsbewegung der EKvW kritisch gegenüberstehen. Liebgewonnene Strukturen stehen auf dem Prüfstand und die Gemeindegliederzahlen, mit denen gedacht und geplant wird, werden immer größer. Wohin wird das führen?

«Nie hattest Du so viel Einfluss darauf, Kirche mitzugestalten», sagt Katharina. Sie ist eine Generation jünger als Andreas und ich und arbeitet in einer Gemeinde am Rand des Ruhrgebietes. Aktuell verändert sich das Kollegium in ihrem Kirchenkreis rasant. Bald wird sie, die lange die jüngste Kollegin im Kirchenkreis war, zu den Dienstältesten gehören. In ihrer Gemeinde stehen Kooperationen, vielleicht sogar Vereinigungen mit den gemeindlichen Nachbarn an. Katharina meint das ernst. Die anstehenden Veränderungen regen sie an und machen ihr nicht bloß Sorgen. In der aktiven Mitgestaltung ihrer Kirche findet sie Sinn und kann darum auch für ihren Beruf werben. Bei Insta kann man ihr auf ihren Wegen durch den westfälischen pfarramtlichen Alltag folgen.

Du, Mensch, bist nicht allein mit dem, was du machst und glaubst – auch und erst recht nicht in deinem kirchlichen Arbeiten.

Im Mai ist Katharina mit anderen Kolleg:innen ihrer Altersgruppe in Dortmund zu einem Netzwerktag zusammengekommen. Dieser Tag hat für den Blick nach vorne, in die Zeit der aktiven Umgestaltung kirchlicher (Zusammen-)Arbeit, vieles bewegt. Vor allem das Gefühl, mit den Herausforderungen nicht allein dazustehen sondern viele zu sein, hat bei Katharina und anderen Teilnehmenden zu neuer Energie und Mut geführt.

Der Schlüssel für eine sinnvolle und erfüllte Arbeit in der Evangelischen Kirche liegt in der Vernetzung und Pflege der Zusammenarbeit mit anderen Kolleg:innen, mit den haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden am jeweiligen Ort. Davon bin ich überzeugt. Damit diese Zusammenarbeit gelingt braucht es funktionierende Kooperationen und bewusste Unterstützungen. Auf dieser Basis funktioniert auch die Nachwuchsgewinnung für kirchliche Berufe: Nicht einer allein wirbt, sondern ein Netzwerk aus Kolleg:innen, die ihren jeweiligen Beruf als sinnvoll erleben.

Im Gepäck haben wir die beste Botschaft der Welt: Du, Mensch, bist nicht allein mit dem, was du machst und glaubst – auch und erst recht nicht in deinem kirchlichen Arbeiten. Da sind andere um dich herum, die Gemeinschaft der Glaubenden, die auf diesem Weg an deiner Seite ist. Und da ist einer, der dir vorausgegangen ist und dem du nachfolgst. Er selbst, Jesus Christus, verspricht: wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Unsere Empfehlungen

Weltgebetstag unter Druck

Weltgebetstag unter Druck

Eigentlich sollte der Weltgebetstag ein Tag des Friedens sein. Eigentlich. Doch in diesem Jahr schlägt sich der Konflikt zwischen Israel und Palästina schon im Vorfeld des 1. März nieder. Denn die Liturgie stammt von Palästinenserinnen.
Mitgliederschmelze oder Eintrittswelle? (1)

Mitgliederschmelze oder Eintrittswelle?

So zuverlässig wie die Gletscher schmelzen, verlieren die Kirchen Mitglieder. Um Gegensteuer zu geben, braucht es weder einen moralischen Zeigefinger noch Lockvogelangebote. Was es braucht, macht eine ehemalige Muslimin und Atheistin vor.
Wie Kirche war, wird sie nicht mehr werden

Wie Kirche war, wird sie nicht mehr werden

«Palliative Kirche», so hiess der Artikel, den Lars Syring für den Mai-Magnet im vergangenen Jahr geschrieben hatte. Selten hat einer seiner Texte so viele Reaktionen ausgelöst. Der Pfarrer aus Bühler über die «Phasen der Trauerarbeit» seiner Mitmenschen, welche dem Verlust «ihrer Kirche» ...
Der Pfarrberuf der Zukunft

Das Lernvikariat der Zukunft - der Pfarrberuf der Zukunft

Wenn die Gesellschaft im Wandel ist, verändert sich Kirche und damit auch der Pfarrberuf. Mit einschneidenden Folgen für die Pfarr-Ausbildung und das Pfarrbild. Thomas Schaufelberger, Leiter A+W – Aus- und Weiterbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer, über das Lernvikariat der Zukunft und den ...